Seite - 15 - in Schachnovelle
Bild der Seite - 15 -
Text der Seite - 15 -
spielen jetzt Schwarz.«
Auch die zweite Partie bot kein verändertes Bild, außer daß durch einige
Neugierige unser Kreis nicht nur größer, sondern auch lebhafter geworden
war. McConnor blickte so starr auf das Brett, als wollte er die Figuren mit
seinem Willen, zu gewinnen, magnetisieren; ich spürte ihm an, daß er auch
tausend Dollar begeistert geopfert hätte für den Lustschrei ›Matt!‹ gegen den
kaltschnäuzigen Gegner. Merkwürdiger-weise ging etwas von seiner
verbissenen Erregung unbewußt in uns über. jeder einzelne Zug wurde
ungleich leidenschaftlicher diskutiert als vordem, immer hielten wir noch im
letzten Moment einer den andern zurück, ehe wir uns einigten, das Zeichen zu
geben, das Czentovic an unseren Tisch zurückrief Allmählich waren wir beim
siebenunddreißigsten Zuge angelangt, und zu unserer eigenen Überraschung
war eine Konstellation eingetreten, die verblüffend vorteilhaft schien, weil es
uns gelungen war, den Bauern der c-Linie bis auf das vorletzte Feld c2 zu
bringen; wir brauchten ihn nur vorzuschieben auf c1, um eine neue Dame zu
gewinnen. Ganz behaglich war uns freilich nicht bei dieser allzu
offenkundigen Chance; wir argwöhnten einmütig, dieser scheinbar von uns
errungene Vorteil müsse von Czentovic, der doch die Situation viel
weitblickender übersah, mit Absicht uns als Angelhaken zugeschoben sein.
Aber trotz angestrengtem gemeinsamem Suchen und Diskutieren vermochten
wir die versteckte Finte nicht wahrzunehmen. Schließlich, schon knapp am
Rande der verstatteten Überlegungsfrist, entschlossen wir uns, den Zug zu
wagen. Schon rührte McConnor den Bauern an, um ihn auf das letzte Feld zu
schieben, als er sich jäh am Arm gepackt fühlte und jemand leise und heftig
flüsterte: »Um Gottes willen! Nicht!«
Unwillkürlich wandten wir uns alle um. Ein Herr von etwa fünfundvierzig
Jahren, dessen schmales, scharfes Gesicht mir schon vordem auf der
Deckpromenade durch seine merkwürdige, fast kreidige Blässe aufgefallen
war, mußte in den letzten Minuten, indes wir unsere ganze Aufmerksamkeit
dem Problem zuwandten, zu uns getreten sein. Hastig fügte er, unsern Blick
spürend, hinzu:
»Wenn Sie jetzt eine Dame machen, schlägt er sie sofort mit dem Läufer c
1, Sie nehmen mit dem Springer zurück. Aber inzwischen geht er mit seinem
Freibauern auf d7, bedroht Ihren Turm, und auch wenn Sie mit dem Springer
Schach sagen, verlieren Sie und sind nach neun bis zehn Zügen erledigt. Es ist
beinahe dieselbe Konstellation, wie sie Aljechin gegen Bogoljubow 1922 im
Pistyaner Großturnier initiiert hat.«
McConnor ließ erstaunt die Hand von der Figur und starrte nicht minder
verwundert als wir alle auf den Mann, der wie ein unvermuteter Engel helfend
vom Himmel kam. jemand, der auf neun Züge im voraus ein Matt berechnen
15
zurück zum
Buch Schachnovelle"
Schachnovelle
- Titel
- Schachnovelle
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 46
- Schlagwörter
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik