Seite - 20 - in Schachnovelle
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merkte bald, daß dieser Umstand meinen Auftrag erleichterte, und hielt es
nur, seine Feinfühligkeit spürend, für ratsam, ihm zu verschweigen, daß das
materielle Risiko einer allfälligen Niederlage zu Lasten von McConnors
Kasse ginge. Nach längerem Zögern erklärte sich Dr. B. schließlich zu einem
Match bereit, doch nicht ohne ausdrücklich gebeten zu haben, die anderen
Herren nochmals zu warnen, sie möchten keineswegs auf sein Können
übertriebene Hoffnungen setzen.
»Denn«, fügte er mit einem versonnenen Lächeln hinzu, »ich weiß
wahrhaftig nicht, ob ich fähig bin, eine Schachpartie nach allen Regeln richtig
zu spielen. Bitte glauben Sie mir, daß es keineswegs falsche Bescheidenheit
war, wenn ich sagte, daß ich seit meiner Gymnasialzeit, also seit mehr als
zwanzig Jahren, keine Schachfigur mehr berührt habe. Und selbst zu jener
Zeit galt ich bloß als Spieler ohne sonderliche Begabung.«
Er sagte dies in einer so natürlichen Weise, daß ich nicht den leisesten
Zweifel an seiner Aufrichtigkeit hegen durfte. Dennoch konnte ich nicht
umhin meiner Verwunderung Ausdruck zu geben, wie genau er an jede
einzelne Kombination der verschiedensten Meister sich erinnern könne;
immerhin müsse er sich doch wenigstens theoretisch mit Schach viel
beschäftigt haben. Dr. B. lächelte abermals in jener merkwürdig traumhaften
Art.
»Viel beschäftigt! - Weiß Gott, das kann man wohl sagen, daß ich mich mit
Schach viel beschäftigt habe. Aber das geschah unter ganz besonderen, ja
völlig einmaligen Umständen. Es war dies eine ziemlich komplizierte
Geschichte, und sie könnte allenfalls als kleiner Beitrag gelten zu unserer
lieblichen großen Zeit. Wenn Sie eine halbe Stunde Geduld haben… «
Er hatte auf den Deckchair neben sich gedeutet. Gerne folgte ich seiner
Einladung. Wir waren ohne Nachbarn. Dr. B. nahm die Lesebrille von den
Augen, legte sie zur Seite und begann:
»Sie waren so freundlich, zu äußern, daß Sie sich als Wiener des Namens
meiner Familie erinnerten. Aber ich vermute, Sie werden kaum von der
Rechtsanwaltskanzlei gehört haben, die ich gemeinsam mit meinem Vater und
späterhin allein leitete, denn wir führten keine Causen, die publizistisch in der
Zeitung abgehandelt wurden, und vermieden aus Prinzip neue Klienten. In
Wirklichkeit hatten wir eigentlich gar keine richtige Anwaltspraxis mehr,
sondern beschränkten uns ausschließlich auf die Rechtsberatung und vor
allem Vermögens-verwaltung der großen Klöster, denen mein Vater als
früherer Abgeordneter der klerikalen Partei nahestand. Außerdem war uns -
heute, da die Monarchie der Geschichte angehört, darf man wohl schon
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Buch Schachnovelle"
Schachnovelle
- Titel
- Schachnovelle
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 46
- Schlagwörter
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik