Seite - 25 - in Schachnovelle
Bild der Seite - 25 -
Text der Seite - 25 -
Kanzlist verraten? Wieviel hatten sie an Briefen aufgefangen, wieviel
inzwischen in den deutschen Klöstern, die wir vertraten, einem ungeschickten
Geistlichen vielleicht schon abgepreßt? Und sie fragten und fragten. Welche
Papiere ich für jenes Kloster gekauft, mit welchen Banken ich korrespondiert,
ob ich einen Herrn Soundso kenne oder nicht, ob ich Briefe aus der Schweiz
erhalten und aus Steenookerzeel? Und da ich nie errechnen konnte, wieviel
sie schon ausgekundschaftet hatten, wurde jede Antwort zur ungeheuersten
Verantwortung. Gab ich etwas zu, was ihnen nicht bekannt war, so lieferte ich
vielleicht unnötig jemanden ans Messer. Leugnete ich zuviel ab, so schädigte
ich mich selbst.
Aber das Verhör war noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war das
Zurückkommen nach dem Verhör in mein Nichts, in dasselbe Zimmer mit
demselben Tisch, demselben Bett, derselben Waschschüssel, derselben
Tapete. Denn kaum allein mit mir, versuchte ich zu rekonstruieren, was ich
am klügsten hätte antworten sollen und was ich das nächste Mal sagen müßte,
um den Verdacht wieder abzulenken, den ich vielleicht mit einer unbedachten
Bemerkung heraufbeschworen. Ich überlegte, ich durchdachte, ich
durchforschte, ich überprüfte meine eigene Aussage auf jedes Wort, das ich
dem Untersuchungsrichter gesagt, ich rekapitulierte jede Frage, die sie
gestellt, jede Antwort, die ich gegeben, ich versuchte zu erwägen, was sie
davon protokolliert haben könnten, und wußte doch, daß ich das nie errechnen
und erfahren könnte. Aber diese Gedanken, einmal angekurbelt im leeren
Raum, hörten nicht auf, im Kopf zu rotieren, immer wieder von neuem, in
immer anderen Kombinationen, und das ging hinein bis in den Schlaf-,
jedesmal nach einer Vernehmung durch die Gestapo übernahmen ebenso
unerbittlich meine eigenen Gedanken die Marter des Fragens und Forschens
und Quälens, und vielleicht noch grausamer sogar, denn jene Vernehmungen
endeten doch immerhin nach einer Stunde, und diese nie, dank der tückischen
Tortur dieser Einsamkeit. Und immer um mich nur der Tisch, der Schrank,
das Bett, die Tapete, das Fenster, keine Ablenkung, kein Buch, keine Zeitung,
kein fremdes Gesicht, kein Bleistift, um etwas zu notieren, kein Zündholz, um
damit zu spielen, nichts, nichts, nichts. jetzt erst gewahrte ich, wie teuflisch
sinnvoll, wie psychologisch mörderisch erdacht dieses System des
Hotelzimmers war. Im Konzentrationslager hätte man vielleicht Steine karren
müssen, bis einem die Hände bluteten und die Füße in den Schuhen abfroren,
man wäre zusammengepackt gelegen mit zwei Dutzend Menschen in Stank
und Kälte. Aber man hätte Gesichter gesehen, man hätte ein Feld, einen
Karren, einen Baum, einen Stern, irgend, irgend etwas anstarren können,
indes hier immer dasselbe um einen stand, immer dasselbe, das entsetzliche
Dasselbe. Hier war nichts, was mich ablenken konnte von meinen Gedanken,
von meinen Wahnvorstellungen, von meinem krankhaften Rekapitulieren.
25
zurück zum
Buch Schachnovelle"
Schachnovelle
- Titel
- Schachnovelle
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 46
- Schlagwörter
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik