Seite - 39 - in Schachnovelle
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faßt, das sich über ein Geländer beugt. Erst später wurde mir die grobe
Ungehörigkeit klar, deren ich mich durch meine Vordringlichkeit schuldig
gemacht.«
Ich beeilte mich, Dr. B. zu versichern, wie sehr wir alle uns freuten, diesem
Zufall seine Bekanntschaft zu verdanken, und daß es für mich nach all dem,
was er mir anvertraut, nun doppelt interessant sein werde, ihm morgen bei
dem improvisierten Turnier zusehen zu dürfen. Dr. B. machte eine unruhige
Bewegung.
»Nein, erwarten Sie wirklich nicht zu viel. Es soll nichts als eine Probe für
mich sein… eine Probe, ob ich… ob ich überhaupt fähig bin, eine normale
Schachpartie zu spielen, eine Partie auf einem wirklichen Schachbrett mit
faktischen Figuren und einem lebendigen Partner… denn ich zweifle jetzt
immer mehr daran, ob jene Hunderte und vielleicht Tausende Partien, die ich
gespielt habe, tatsächlich regelrechte Schachpartien waren und nicht bloß eine
Art Traumschach, ein Fieberschach, ein Fieberspiel, in dem wie immer im
Traum Zwischenstufen übersprungen wurden. Sie werden mir doch
hoffentlich nicht im Ernst zumuten, daß ich mir anmaße, einem
Schachmeister, und gar dem ersten der Welt, Paroli bieten zu können. Was
mich interessiert und intrigiert, ist einzig die posthume Neugier, festzustellen,
ob das in der Zelle damals noch Schachspiel oder schon Wahnsinn gewesen,
ob ich damals noch knapp vor oder schon jenseits der gefährlichen Klippe
mich befand - nur dies, nur dies allein.«
Vom Schiffsende tönte in diesem Augenblick der Gong, der zum
Abendessen rief Wir mußten - Dr. B. hatte mir alles viel ausführlicher
berichtet, als ich es hier zusammenfasse - fast zwei Stunden verplaudert
haben. Ich dankte ihm herzlich und verabschiedete mich. Aber noch war ich
nicht das Deck entlang, so kam er mir schon nach und fügte sichtlich nervös
und sogar etwas stottrig bei:
»Noch eines! Wollen Sie den Herren gleich im voraus ausrichten, damit ich
nachträglich nicht unhöflich erscheine: ich spiele nur eine einzige Partie… sie
soll nichts als der Schlußstrich unter eine alte Rechnung sein - eine endgültige
Erledigung und nicht ein neuer Anfang … Ich möchte nicht ein zweites Mal
in dieses leidenschaftliche Spielfieber geraten, an das ich nur mit Grauen
zurückdenken kann… und übrigens… übrigens hat mich damals auch der
Arzt gewarnt… ausdrücklich gewarnt. jeder, der einer Manie verfallen war,
bleibt für immer gefährdet, und mit einer - wenn auch ausgeheilten -
Schachvergiftung soll man besser keinem Schachbrett nahekommen… Also
Sie verstehen - nur diese eine Probepartie für mich selbst und nicht mehr.«
Pünktlich um die vereinbarte Stunde, drei Uhr, waren wir am nächsten Tage
im Rauchsalon versammelt. Unsere Runde hatte sich noch um zwei Liebhaber
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Buch Schachnovelle"
Schachnovelle
- Titel
- Schachnovelle
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 46
- Schlagwörter
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik