Seite - 40 - in Schachnovelle
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der königlichen Kunst vermehrt, zwei Schiffsoffiziere, die sich eigens Urlaub
vom Borddienst erbeten, um dem Turnier zusehen zu können. Auch
Czentovic ließ nicht wie am vorhergehenden Tage auf sich warten, und nach
der obligaten Wahl der Farben begann die denkwürdige Partie dieses Homo
obscurissimus gegen den berühmten Weltmeister. Es tut mir leid, daß sie nur
für uns durchaus unkompetente Zuschauer gespielt war und ihr Ablauf für die
Annalen der Schachkunde ebenso verloren ist wie Beethovens
Klavierimprovisationen für die Musik. Zwar haben wir an den nächsten
Nachmittagen versucht, die Partie gemeinsam aus dem Gedächtnis zu
rekonstruieren, aber vergeblich; wahrscheinlich hatten wir alle während des
Spiels zu passioniert auf die beiden Spieler statt auf den Gang des Spiels
geachtet. Denn der geistige Gegensatz im Habitus der beiden Partner wurde
im Verlauf der Partie immer mehr körperlich plastisch. Czentovic, der
Routinier, blieb während der ganzen Zeit unbeweglich wie ein Block, die
Augen streng und starr auf das Schachbrett gesenkt; Nachdenken schien bei
ihm eine geradezu physische Anstrengung, die alle seine Organe zu äußerster
Konzentration nötigte. Dr. B. dagegen bewegte sich vollkommen locker und
unbefangen. Als der rechte Dilettant im schönsten Sinne des Wortes, dem im
Spiel nur das Spiel, das ›diletto‹ Freude macht, ließ er seinen Körper völlig
entspannt, plauderte während der ersten Pausen erklärend mit uns, zündete
sich mit leichter Hand eine Zigarette an und blickte immer nur gerade, wenn
an ihn die Reihe kam, eine Minute auf das Brett. jedesmal hatte es den
Anschein, als hätte er den Zug des Gegners schon im voraus erwartet.
Die obligaten Eröffnungszüge ergaben sich ziemlich rasch. Erst beim
siebenten oder achten schien sich etwas wie ein bestimmter Plan zu
entwickeln. Czentovic verlängerte seine Überlegungspausen; daran spürten
wir, daß der eigentliche Kampf um die Vorhand einzusetzen begann. Aber um
der Wahrheit die Ehre zu geben, bedeutete die allmähliche Entwicklung der
Situation wie jede richtige Turnierpartie für uns Laien eine ziemliche
Enttäuschung. Denn je mehr sich die Figuren zu einem sonderbaren Ornament
ineinander verflochten, um so undurchdringlicher wurde für uns der
eigentliche Stand. Wir konnten weder wahrnehmen, was der eine Gegner
noch was der andere beabsichtigte, und wer von den beiden sich eigentlich im
Vorteil befand. Wir merkten bloß, daß sich einzelne Figuren wie Hebel
vorschoben, um die feindliche Front aufzusprengen, aber wir vermochten
nicht - da bei diesen überlegenen Spielern jede Bewegung immer auf mehrere
Züge vorauskombiniert war -, die strategische Absicht in diesem Hin und
Wider zu erfassen. Dazu gesellte sich allmählich eine lähmende Ermüdung,
die hauptsächlich durch die endlosen Überlegungspausen Czentovics
verschuldet war, die auch unseren Freund sichtlich zu irritieren begannen. Ich
beobachtete beunruhigt, wie er, je länger die Partie sich hinzog, immer
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Buch Schachnovelle"
Schachnovelle
- Titel
- Schachnovelle
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 46
- Schlagwörter
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik