Seite - 41 - in Schachnovelle
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unruhiger auf seinem Sessel herumzurücken begann, bald aus Nervosität eine
Zigarette nach der anderen anzündend, bald nach dem Bleistift greifend, um
etwas zu notieren. Dann wieder bestellte er ein Mineralwasser, das er Glas um
Glas hastig hinabstürzte; es war offenbar, daß er hundertmal schneller
kombinierte als Czentovic. jedesmal, wenn dieser nach endlosem Überlegen
sich entschloß, mit seiner schweren Hand eine Figur vorwärtszurücken,
lächelte unser Freund nur wie jemand, der etwas lang Erwartetes eintreffen
sieht, und ripostierte bereits. Er mußte mit seinem rapid arbeitenden Verstand
im Kopf alle Möglichkeiten des Gegners vorausberechnet haben; je länger
darum Czentovics Entschließung sich verzögerte, um so mehr wuchs seine
Ungeduld, und um seine Lippen preßte sich während des Wartens ein
ärgerlicher und fast feindseliger Zug. Aber Czentovic ließ sich keineswegs
drängen. Er überlegte stur und stumm und pausierte immer länger, je mehr
sich das Feld von Figuren entblößte. Beim zweiundvierzigsten Zuge, nach
geschlagenen zweidreiviertel Stunden, saßen wir schon alle ermüdet und
beinahe teilnahmslos um den Turniertisch. Einer der Schiffsoffiziere hatte
sich bereits entfernt, ein anderer ein Buch zur Lektüre genommen und blickte
nur bei jeder Veränderung für einen Augenblick auf Aber da geschah plötzlich
bei einem Zuge Czentovics das Unerwartete. Sobald Dr. B. merkte, daß
Czentovic den Springer faßte, um ihn vorzuziehen, duckte er sich zusammen
wie eine Katze vor dem Ansprung. Sein ganzer Körper begann zu zittern, und
kaum hatte Czentovic den Springerzug getan, schob er scharf die Dame vor,
sagte laut triumphierend: »So! Erledigt!«, lehnte sich zurück, kreuzte die
Arme über der Brust und sah mit herausforderndem Blick auf Czentovic. Ein
heißes Licht glomm plötzlich in seiner Pupille.
Unwillkürlich beugten wir uns über das Brett, um den so triumphierend
angekündigten Zug zu verstehen. Auf den ersten Blick war keine direkte
Bedrohung sichtbar. Die Äußerung unseres Freundes mußte sich also auf eine
Entwicklung beziehen, die wir kurzdenkenden Dilettanten noch nicht
errechnen konnten. Czentovic war der einzige unter uns, der sich bei jener
herausfordernden Ankündigung nicht gerührt hatte; er saß so unerschütterlich,
als ob er das beleidigende ›Erledigt!‹ völlig überhört hätte. Nichts geschah.
Man hörte, da wir alle unwillkürlich den Atem anhielten, mit einemmal das
Ticken der Uhr, die man zur Feststellung der Zugzeit auf den Tisch gelegt
hatte. Es wurden drei Minuten, sieben Minuten, acht Minuten - Czentovic
rührte sich nicht, aber mir war, als ob sich von einer inneren Anstrengung
seine dicken Nüstern noch breiter dehnten. Unserem Freunde schien dieses
stumme Warten ebenso unerträglich wie uns selbst. Mit einem Ruck stand er
plötzlich auf und begann im Rauchzimmer auf und ab zu gehen, erst langsam,
dann schneller und immer schneller. Alle blickten wir ihm etwas verwundert
zu, aber keiner beunruhigter als ich, denn mir fiel auf, daß seine Schritte trotz
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Schachnovelle
- Titel
- Schachnovelle
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 46
- Schlagwörter
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik