Seite - 44 - in Schachnovelle
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begann unbewußt mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln. Abermals hob
Czentovic seinen schweren bäurischen Kopf,
»Darf ich Sie bitten, nicht zu trommeln? Es stört mich. Ich kann so nicht
spielen.«
»Ha!« lachte Dr. B. kurz. »Das sieht man.«
Czentovics Stirn wurde rot. »Was wollen Sie damit sagen?« fragte er scharf
und böse.
Dr. B. lachte abermals knapp und boshaft. »Nichts. Nur daß Sie offenbar
sehr nervös sind.«
Czentovic schwieg und beugte seinen Kopf nieder. Erst nach sieben
Minuten tat er den nächsten Zug, und in diesem tödlichen Tempo schleppte
sich die Partie fort. Czentovic versteinte gleichsam immer mehr; schließlich
schaltete er immer das Maximum der vereinbarten Überlegungspause ein, ehe
er sich zu einem Zug entschloß, und von einem Intervall zum andern wurde
das Benehmen unseres Freundes sonderbarer. Es hatte den Anschein, als ob er
an der Partie gar keinen Anteil mehr nehme, sondern mit etwas ganz anderem
beschäftigt sei. Er ließ sein hitziges Aufundniederlaufen und blieb an seinem
Platz regungslos sitzen. Mit einem stieren und fast irren Blick ins Leere vor
sich starrend, murmelte er ununterbrochen unverständliche Worte vor sich
hin; entweder verlor er sich in endlosen Kombinationen, oder er arbeitete -
dies war mein innerster Verdacht - sich ganz andere Partien aus, denn
jedesmal, wenn Czentovic endlich gezogen hatte, mußte man ihn aus seiner
Geistesabwesenheit zurückmahnen. Dann brauchte er immer einige Minuten,
um sich in der Situation wieder zurechtzufinden; immer mehr beschlich mich
der Verdacht, er habe eigentlich Czentovic und uns alle längst vergessen in
dieser kalten Form des Wahnsinns, der sich plötzlich in irgendeiner Heftigkeit
entladen konnte. Und tatsächlich, bei dem neunzehnten Zug brach die Krise
aus. Kaum daß Czentovic seine Figur bewegt, stieß Dr. B. plötzlich, ohne
recht auf das Brett zu blicken, seinen Läufer drei Felder vor und schrie derart
laut, daß wir alle zusammenfahren:
»Schach! Schach dem König!«
Wir blickten in der Erwartung eines besonderen Zuges sofort auf das Brett.
Aber nach einer Minute geschah, was keiner von uns erwartet. Czentovic hob
ganz, ganz langsam den Kopf und blickte - was er bisher nie getan - in
unserem Kreise von einem zum andern. Er schien irgend etwas unermeßlich
zu genießen, denn allmählich begann auf seinen Lippen ein zufriedenes und
deutlich höhnisches Lächeln. Erst nachdem er diesen seinen uns noch
unverständlichen Triumph bis zur Neige genossen, wandte er sich mit falscher
Höflichkeit unserer Runde zu.
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Schachnovelle
- Titel
- Schachnovelle
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 46
- Schlagwörter
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik