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8 Nora Fischer und Anna Mader-Kratky
Die Idee zum Thema kam aufgrund von bestimmten Objekten bzw. Objektgrup-
pen in der anatomischen Wachsmodellsammlung im Josephinum und in der kaiser-
lichen Gemäldegalerie im Oberen Belvedere der 1780er-Jahre, deren Repräsentationen
sich auf den ersten Blick zu widersprechen, bei genauerer Betrachtung jedoch span-
nungsvoll zu bedingen scheinen: Zum einen fand sich im Josephinum in der Sammlung
medizinischer Wachspräparate von 1785 ein Modell, das – in Anspielung auf die
berühmte antike Venus, die in den Uffizien ausgestellt war – die „Nachahmung der
Mediceischen Venus; mit herausnehmbaren Eingeweiden“3 genannt wurde, zum ande-
ren in der kaiser lichen Galerie ein Arrangement von Gemälden, das vor allem wegen
seines wissenschaft lichen Charakters gerühmt wurde.4 Auf der einen Seite steht also
eine primär (natur-)wissenschaft liche Sammlung, die sich –
auch
– an den ästhetischen
und anschau lichen Qualitäten der ausgestellten Werke orientiert; auf der anderen eine
Sammlung von Kunstwerken, die den wissenschaftlich begründeten Erkenntnissen
des Gebiets der Kunstgeschichte Rechnung trägt. Diesem bemerkenswerten Zusam-
menspiel zwischen den auf wissenschaft liche Information abzielenden und zugleich
auf ihren ästhetischen Reiz aufbauenden Sammlungen nachzugehen und sich zu
fragen, welche genauen Gewichtungen den Gesichtspunkten Wissenschaft und
Ästhetik in den Sammlungsaufstellungen zukam, bildete den Ausgangspunkt der
Überlegungen.
Mit „Schöne Wissenschaften“, so der Titel der Publikation, wird assoziativ ein
Wortspiel aufgenommen, das sich auf einen zentralen, wenn auch diffusen Begriff in
der Philosophie der Aufklärung bezieht, der im Mittelpunkt des kunsttheoretischen
Diskurses stand und Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen war.5 Die Unschärfe
dieser Terminologie hat bereits Johann Gottfried Herder treffend auf den Punkt
gebracht: „Vielleicht sind wenige Worte in der Sprache so unbestimmt als die Namen
,schöne Wissenschaften und Künste‘. Bei dem verworrenen Begriff, den man mit ihnen
verbindet, weiß man oft nicht, was sie bedeuten.“6 Weder war klar, welche Disziplinen
die „Schönen Wissenschaften“ umfassten, noch, was sie überhaupt charakterisiert.
Einmal bezog man sich damit auf die Poesie, die visuellen Künste (Architektur, Male-
rei, Plastik) und die Musik, dann wiederum nur auf die Dichtkunst oder erweiterte die
Skala um die humanistischen Studien (Geschichte, Archäologie). Der Terminus
„Schöne Wissenschaften“ steht nicht nur – analog zu den „Schönen Künsten“ – als
Synonym für die Gesamtheit einzelner oder mehrerer ästhetischer Disziplinen, son-
dern meint eigentlich – in Auswechslung der Worte – die „Wissenschaft vom Schö-
nen“ im Sinne der Ästhetik als philosophische Disziplin. Das Eigenschaftswort
„schön“ bezeichnet eben nicht die Wissenschaften, sondern ihren Gegenstand. Der
deutsche Philosoph, Mediziner und Psychologe Max Dessoir hat diese grammatikali-
sche Verwirrung thematisiert: „In der That ist es eine Vermengung, die Ästhetik eine
3 Die Katalog-Nr. 244 der Sammlung anatomischer Wachspräparate, vgl. Allmer / Jantsch 1965, 70.
4 Nicolai 1784, 500–501.
5 Zur Begriffsgeschichte der „Schönen Wissenschaften“ vgl. Strube 1990, 136–216.
6 Herder 1800 (Suphan 1888), 301.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur