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Einleitung 9
ars – und gewisse Künste ,schöne Wissenschaften‘ – zu nennen: sie soll doch über das
Schöne denken, nicht schön denken! Der allgemeine Denkfehler, der hier unterliegt,
ist eine Art Verwechslung von Inhalt und Form.“7 Es geht also, wie Georg Friedrich
Meier schon 1748 in Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften formuliert hat, um
die „Wissenschaft der schönen Erkentnis“8 – eine Wissenschaft, deren eigent liche
Bestimmung, die „Erkenntnis“, auch in Sammlungen zum Tragen kommt. Der ästhe-
tische Reiz von Sammlungen, sei es im Bereich der Kunst oder der Naturwissenschaft,
wurde niemals negiert, doch wurde immer versucht, ihn in Richtung Erkenntnis-
gewinn zu lenken.
Den Diskurs, der sich mit den „Schönen Wissenschaften“ verbindet, die Verbin-
dung von Schönheit und Erkenntnis bzw. Kunst und Wissenschaft, hat Alexander
Gottlieb Baumgarten Mitte des 18. Jahrhunderts zur eigenen Theorie entfaltet und
damit bekanntlich die Ästhetik als philosophische Disziplin begründet. In seiner
Aesthetica betrachtet Baumgarten die Kunst nicht nur als ein zu beschreibendes oder
beobachtendes Phänomen, sondern auch in Hinblick auf ihren Erkenntniswert, wobei
die Schönheit als „Vollkommenheit der sinn lichen Erkenntnis“9 begriffen wird. Im
Zusammenhang der „Schönen Wissenschaften“ mit Sammlungen ist aufschlussreich,
dass Baumgarten die Ästhetik sowohl als systematische Wissenschaft als auch als
Lehre von der Sinnlichkeit, der „cognitio sensitiva“10 (sinn lichen Erkenntnis) auffasst.
Damit begibt er sich zum einen unter die „Obhut der systematischen Philosophie“11,
bezieht sich zum anderen jedoch auf die Naturerkenntnis bzw. empirische Analyse,
die im Verlauf des 18. Jahrhunderts zu dem rationalen Prinzip in den Naturwissen-
schaften geworden war. In seinen Philosophischen Brieffen, mit denen Baumgarten
seine theoretischen Positionen publizistisch verbreitete, diskutiert er die Bedeutung
der „Aesthetischen Erfahrungs Kunst“ und die Funktion der äußeren Sinne für die
Naturerkenntnis. Neben Werken von Pieter van Musschenbroek, Robert Boyle,
Nicolas des Malebranche oder Francis Bacon, die allesamt empirische Verfahren der
Naturwissenschaften zum Inhalt haben, empfiehlt er als praktische „Hülffs-Mittel,
wodurch die Sinnen erhöht, und erweitert werden könnten“, auch Apparaturen, die
zur Beobachtung oder im Experiment verwendet werden können, wie „Vergröße-
rungs- und Fern-Gläser, künstlige Ohren und Sprach-Röhre, […] den ganzen Vorrath
der Barometers, Thermometers, Hygrometers, Manometers, Pyrometers usw. die die
versuchende Physik braucht […].“12
Kennzeichnend für die empirischen Analyseverfahren im 18. Jahrhundert – und
relevant für die „Schönen Wissenschaften“ – sei, so Ernst Cassirer in seinem
Grund lagenwerk Die Philosophie der Aufklärung, die Akzentverschiebung in der
7 Dessoir 1902, 559.
8 Meier 1748, 45.
9 Baumgarten 1750–1758 (Mirbach 2007), § 14.
10 Ebenda, § 1.
11 Vgl. Cassirer 1932, 346.
12 Baumgarten 1741, 8. Vgl. Allerkamp / Mirbach 2016, 231–232.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur