Seite - 10 - in Schöne Wissenschaften - Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
Bild der Seite - 10 -
Text der Seite - 10 -
10 Nora Fischer und Anna Mader-Kratky
Korre lation von „Phänomen“ und „Prinzip“. Im Unterschied zur rein deduktiven
Logik, die vom Allgemeinen zum Besonderen führt oder das Besondere vom Allge-
meinen ableitet, legt die empirische Analyse Prinzipien und Grundsätze nicht a priori
fest, sondern will das Allgemeine aus dem Besonderen gewinnen bzw. „am konkreten
Gebilde und am konkreten Phänomen die verborgene Regel“13 entdecken. Auch in
den Sammlungen des 18. Jahrhunderts wird immer wieder das Verhältnis von der aus
den Sammlungsobjekten gewonnenen Erkenntnis mit der Systematisierung des spezi-
fischen Wissensgebietes, in dem die (Kunst-)Werke verankert waren, ausgelotet und
der Akzent das eine Mal mehr in die eine, das andere Mal in die andere Richtung ver-
schoben.
In den Spannungsfeldern dieser wechselseitigen Aspekte – Ästhetik / Wissenschaft,
Schönheit / Erkenntnis oder auch empirische Analyse / deduktive Logik, Phänomen /
Prinzip – ereigneten sich auch die Neuordnungen und Präsentationen der josephini-
schen Sammlungen. So, wie sich mit dem Diskurs von den „Schönen Wissenschaften“
verschiedene Vorstellungen von Schönheit und Wissenschaft verbinden, spielten in
den Sammlungen interferierende Prozesse zwischen Wissenschaftsklassifikation und
Ästhetik die entscheidende Rolle. Es wirft die Vielschichtigkeit der Terminologie
„Schöne Wissenschaften“ zahlreiche Fragen auf, deren Beantwortung den Blick beson-
ders auf die für uns so interessanten Wissens- und Erkenntnisstrukturen richtet.
Die prozesshaften Veränderungen, die in den josephinischen Sammlungen bezüg-
lich ihrer inneren Struktur, ihrer Präsentation nach außen und ihrer Funktion vor sich
gingen, fanden nicht isoliert von den epistemologischen, politischen und ökonomi-
schen Veränderungen der Zeit statt. Am Höhepunkt des Epochenwechsels, den
Reinhart Koselleck als „Sattelzeit“14 an der Schwelle zur Moderne beschrieben hat,
spiegeln die Sammlungen diese Umbruchsituation in vielerlei Facetten. Dies berück-
sichtigend, ist der Sammelband in drei Abschnitte gegliedert: Der erste beschäftigt sich
als konkreter Ausgangspunkt mit vier Sammlungen aus den Bereichen der Natur-
wissenschaften und der Kunst zur Zeit Josephs II., der zweite mit jenen Denksystemen
und Ordnungsmethoden, die im weiteren Umfeld dieser Sammlungen und des Wiener
Hofes diskutiert wurden, und der dritte mit den Konzepten der Präsentation und
Publizität, die die Sammlungen einer allgemeinen Öffentlichkeit sichtbar machten und
vermittelten.
Die Sammlungen: Konstitutionen von Wirklichkeiten und Wissensformen
„Wie man in der Menschheitsgeschichte die Urkunden zurate zieht, die Münzen und
Medaillen untersucht, die alten Inschriften entziffert, um die Umwälzungen in ihr zu
bestimmen und die Epochen des geistigen Geschehens festzustellen, so muss man auch
in der Naturgeschichte die Archive der Welt durchstöbern, die frühesten Denkmäler
den Eingeweiden der Erde entreißen, die Trümmer sammeln und alle Anzeichen der
13 Cassirer 1932, 350, 353.
14 Brunner / Conze / Koselleck 1972, XIII–XIV.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur