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Einleitung 15
dersetzt – eines extrem eingeschränkten Studienmaterials ausgearbeitet wurde, ist
dieser Wechselbeziehung von Prinzip und Phänomen geschuldet.
Einer der Gründe, warum man im Umkreis von Kaunitz darum bemüht war,
Winckelmann bzw. sein Werk an Wien zu binden,17 lag darin, dass zur bildenden Kunst
in Österreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kaum eine theoretische Aus-
einandersetzung stattfand. Lediglich der Staatsmann, Schriftsteller und Ratgeber des
Wiener Hofes, Joseph von Sonnenfels, dessen publizistische Aktivität von einer enor-
men Bandbreite seiner Interessensgebiete zeugt, brachte mit einigen wenigen Schriften
das Thema in die österreichische Wissenschaftslandschaft ein. Sein Traktat Von dem
Verdienste des Portraitmalers (1768), dem sich Werner Telesko widmet, basiert auf
einer Rede, die Sonnenfels am 23. September 1768 an der Wiener Akademie hielt. In
seiner Rede verknüpft er die Porträtkunst mit der Geschichte des Landes, wodurch
ästhetische und politische Repräsentationsformen des Hauses Habsburg-Lothringen
miteinander verbunden werden. Gegenüber älteren Repräsentationsformen ist mit der
zunehmend „aufgeklärten“ Haltung des habsburgischen Hauses auch eine Akzent-
verschiebung in der Funktion und Aufgabe der Porträtkunst zu erkennen: Sonnenfels
argumentiert mit den positiven Auswirkungen der Porträtkunst auf das Gemeinwohl
– dies war die Legitimationsgrundlage, das „Verdienst“, das zu einer Nobilitierung
nicht nur der Porträtkunst, sondern der Kunst im Allgemeinen führen sollte. Der Ter-
minus „Verdienst“ kann dabei durchaus auch in seiner ökonomischen Bedeutung auf-
gefasst werden. Es kommt hier eine Überlegung zum Ausdruck, die schon Kaunitz in
einem Memorandum vom 25. Mai 1770 in Bezug auf die Akademie der bildenden
Künste ausführte, die besagt, dass „die großen Meister Poussin, LeBrun, Girardon,
Mansard und viele andere […] der Nation durch ihre Verbesserung des Geschmackes
in den Kunsterzeugnissen, und die Bildung guter Schüler einen dauerhafteren Vorteil
als Condé, Turenne, Luxenbourg, Vauban, Villars und andere Feldherren, gebracht“18
hätten. Der Gedankengang, dass die Bildung des guten Geschmacks ein ökonomisch
verwertbares und damit nationales Interesse sei, kann umso mehr mit Sonnenfels in
Verbindung gebracht werden, als dieser ab 1763 auch die Lehrkanzel an der Wiener
Universität für Polizei- und Kameralwissenschaften, also der Ökonomie, innehatte.19
Das Thema der Ökonomie bzw. des ökonomischen Nutzens, das in dieser Zeit an
der Schwelle des Übergangs zur kapitalistischen Wirtschaft den Diskurs von Regie-
renden und Verwaltungsbeamten bestimmte, kann auch für die josephinischen Refor-
men als handlungsleitend angesehen werden, wie Anna Mader-Kratky am Beispiel der
1783 gegründeten Oberhofbaudirektion und der Etablierung länderübergreifender
17 Joseph von Sperges, Vertrauter und Kunstberater von Kaunitz, bot Winckelmann die Stelle eines
Sekretärs der 1766 gegründeten k. k. Zeichnungs- und Kupferstecherakademie an, die 1772 mit der
k. k. Akademie vereinigt wurde; vgl. Lützow 1877, 58.
18 Memorandum vom 25. Mai 1770, zit. nach Wagner 1967, 37–38.
19 Sonnenfels wollte eigentlich deutsche Rhetorik lehren und bewarb sich 1762 erfolglos um eine Pro-
fessur für „Eloquenz“, wie der Lehrstuhl für Deutsche Sprache und Literatur genannt wurde. Ab
1763 hatte er die Lehrkanzel an der Wiener Universität für Polizei- und Kameralwissenschaften inne;
Karstens 2011, 69–78.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur