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66 Anna Maerker
rezipierter Denker wie Johann Amos Comenius. Einflussreiche Lehrinstitutionen wie
die Hallenser Francke’schen Stiftungen richteten zum Teil umfangreiche Lehrsamm-
lungen ein, die sowohl natür
liche als auch künst
liche Objekte enthielten – von Wal-
zähnen bis hin zu Holzminiaturen des Salomonischen Tempels.13 So erklärte zum Bei-
spiel der Hallenser Pädagoge Christoph Semler schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts,
das Lernen am Original oder am dreidimensionalen Modell sei allen anderen Arten der
Repräsentation weit überlegen, da (im Gegensatz zu verbaler Beschreibung oder Illus-
tration in zwei Dimensionen) das Objekt direkt vor unseren Augen erscheine und so
„klare“ Ideen im Betrachter erzeuge, die einen tiefen Eindruck hinterließen.14 „[Wenn
der Unterrichtsgegenstand] In natura selbst und gegenwärtig vor Augen geleget wird
/ so ist unstreitig solches unter allen vorerwähnten der höchste Grad der Erkenntnüß
/ und kan sich das Gemüthe alsdenn die beste ideam davon fürstellen.“15 August Her-
mann Francke nutzte Modelle ausdrücklich, um in den Schülern emotionale Reaktio-
nen der Liebe und Neugier zu wecken.16 Kritiker dieser Lehrmethode verwiesen auf
die Gefahr der „Schwärmerei“: der Umgang mit Dingen sollte daher stets geschickt
gelenkt werden, um unangebrachtem Enthusiasmus und ungezügelter „Imagination“
vorzubeugen.17
Insbesondere der Umgang mit künst lichen Körpern, das Spiel mit der Puppe,
erfuhr im 18. Jahrhundert eine Aufwertung. Wurde im 17. Jahrhundert das Puppen-
spiel noch als Anleitung zu Eitelkeit und Putzsucht kritisch betrachtet, deuteten Philo-
sophen der Aufklärung wie Jean-Jacques Rousseau diese Tendenz positiv um. Die
natür liche Rolle der Frau sei es, so Rousseau, dem Mann zu gefallen und Mädchen
könnten dies an der Puppe lernen. „Die Puppe ist das bevorzugte Spiel dieses
Geschlechts. Deutlich ist ihre Neigung von der Berufung bestimmt. Das Greifbare in
der Kunst zu gefallen, liegt im Putz.“18 Der Pädagoge Rudolf Wilhelm Zobel ent-
wickelte eine regelrechte „Philosophie der Puppen“19: Danach ahmten Mädchen mit
der Puppe Verhaltensweisen nach, die sie in ihrem Umfeld wahrnehmen, und übten
damit zukünftige gesellschaft liche und familiäre Rollen ein. Zobel begann seine Philo-
sophie der Puppen mit der zentralen Rolle der Imitation in der Erziehung: „Kinder
ahmen alles nach, was sie sehen.“20 So lerne das bürger liche Mädchen den höfl ichen
Umgang beim gesellschaft lichen Besuch, den Umgang mit Dienstboten und die
Mutter rolle. Gleichzeitig habe das Spiel mit der Puppe unter Umständen auch diag-
nostischen Wert, da „man nie das Herz eines Kindes besser kennen lernt, als wenn man
auf sein Verhalten beim Spiel Acht giebt.“21 Auch der praktische Umgang mit der
13 Whitmer 2015, Kap. 4.
14 Semler 1709, 9–10.
15 Ebenda, 10; vgl. Müller 1997, 47.
16 Whitmer 2015, 74–79.
17 Te Heesen 1997, 187.
18 Barth 1997, 94.
19 Zobel 1773, XIX. Brief, 124–133.
20 Ebenda, 126.
21 Ebenda, 128.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur