Seite - 77 - in Schöne Wissenschaften - Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
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Nora Fischer
Von der „Augenbelustigung“ zur „dem Auge sichtbaren Geschichte
der Kunst“
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1781 war die Neuaufstellung der Gemälde in der kaiser lichen Galerie im Oberen
Belvedere Gegenstand einer heftigen Kontroverse zweier Gruppen von Kritikern. Für
die eine Seite war die kaiser
liche Sammlung „um den Charakter einer Galerie gebracht
und zu einer Bildermusterkarte reduzirt“ worden, was einem „Galeriemord“
gleichkam;1 für die andere Seite hingegen hatte die Galerie aufgrund ihrer klaren Ord-
nung „den Karakter einer Gallerie unstreitig mehr erlanget, als verloren“ und stellte
nun „eine anschau liche Geschichte des mensch
lichen Geistes“ dar.2 Einig war man sich
nur in der Wahrnehmung, dass die neue Form der Hängung ein außerordent liches
Ereignis und eine bedeutende Zäsur nicht nur für die kaiser
liche Galerie, sondern auch
generell für Museumsordnungen im europäischen Kontext darstellte.
Wie diese Umbildung der kaiser
lichen Galerie zustande kam, welche Personen
involviert waren und welche Gemälde ausgewählt wurden, ist aufgrund der umfänglich
erhaltenen Quellen bekannt und wurde in verschiedenen Studien eingehend unter-
sucht.3 Die Hängung der Gemälde wurde bis 1781 unter der Federführung des Basler
Kupferstechers, Verlegers und Kunstexperten Christian von Mechel verwirklicht. 1779
war dieser aus Basel nach Wien gekommen, war von Kaiser Joseph II. dem seit 1772
amtierenden Galeriedirektor Joseph Rosa vorgezogen und für die Neuaufstellung der
kaiser
lichen Galerie bestellt worden. Rosas eigent
licher Anteil an der Sammlungs-
erneuerung lässt sich heute aufgrund fehlender Dokumente kaum rekonstruieren. Es ist
aber davon auszugehen, dass er durch seine grundlegenden Arbeiten – die Sichtung,
Klassifizierung und Restaurierung der Gemäldebestände sowie deren grundsätz
liche
Ordnung nach süd- und nordalpinen Malerschulen – entscheidend zum nachfolgenden
Innovationsschub in der Neugestaltung der Galerie beitrug.4 Dass Mechel gegenüber
Rosa derart hervorgehoben wurde, gehört zu den Folgen der konsequenten Umset-
zung und bemerkenswerten Publizität seiner Galerieaufstellung. In nur zwei Jahren
schuf Mechel die als „revolutionär“5 empfundene Gemäldehängung und einen weit
verbreiteten Galeriekatalog in deutscher (1783) und in französischer Fassung (1784).6
1 Fortsetzung der Gedanken 1782, 254.
2 Wezel 1783, 182–185.
3 Der Artikel basiert auf der Dissertation der Autorin, vgl. Fischer 2013a. Nach wie vor grundlegend:
Meijers 1995; neuere Studien: Meijers 2007 und dies. 2013; Hassmann 2013 und dies. 2015; Swoboda
2013; Fischer 2013b.
4 Zum Konflikt Rosas mit Mechel vgl. Meijers 1995, 64–76.
5 Vgl. Pommier 2006, 55–65.
6 Mechel 1783 und ders. 1784.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur