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Winckelmann im Sammlungsraum: Armut macht Geschichte 131
präsentiert, andererseits jedoch kaum der gestellten Aufgabe, eine Beschreibung der
Sammlung zu geben, gerecht wird. Der Verweis auf die Sammlung dient mehr einer
Legitimation, als Begründung des abstrakten Systems des normativen Lehrgebäudes,
das in ein historisches Argument und eine pseudomorphologische Logik gefasst wird.
Besagte Beschreibung der Villa Albani datiert auf das Jahr 1761. Sie liegt insgesamt
in drei Versionen, auf Italienisch, Deutsch und Englisch vor. In einem Brief an Philipp
von Stosch versprach Winckelmann, eine dreiteilige Abhandlung über die Sammlung
zu senden: die erste mit einer Beschreibung der Villa selbst, die zweite „wird Anmer-
kungen über die Kunst bei den drey alten Völker, den Egyptern, Hetruriern und Grie-
chen“ enthalten, und der dritte Teil wird „anderen Werken der alten Kunst daselbst“
gewidmet sein, die „in Absicht der Fabel-Geschichte und der Gebräuche“ von Inter-
esse sind.24
Letztlich hat Winckelmann nur den zweiten Teil dieser Abhandlung fertiggestellt;
die anderen beiden Teile existieren nur in einem italienischsprachigen Entwurf
(Abb. 1). Dieser brieflich an Stosch kommunizierte Teil der Beschreibung der Villa
Albani ist nach Winckelmanns eigener Charakterisierung „ein kurzer Inbegriff der
Lehre von der Kunst des Alterthums“. In kondensierter Form ist damit das Lehrge-
bäude der Geschichte zusammengefasst und die „drey Classen der Kunst“, die Kunst
der Ägypter, Etrusker und Griechen, „durch die Werke dieser Villa bestimmet und
erläutert“.25
Winckelmanns kurzer Text geht direkt in medias res und beginnt mit einem syste-
matischen Zugriff auf die Kunstgeschichte, die in Epochen eingeteilt wird: „In der
ersten Classe der Kunst der Egypter sind zwey verschiedene Stile zu merken; der Ael-
tere und der Nachfolgende; und zum Dritten finden sich Nachahmungen Egyptischer
Werke: von allen drey Arten werde ich die vornehmsten Werke anzeigen.“ Die Merk-
male, nach denen die Objekte untersucht werden, sind „zum Ersten die Bildung,
Zweytens die Zeichnung und Drittens die Bekleidung der Figuren“.26 Nach einer kur-
zen allgemeinen Betrachtung der stilistischen Charakteristika des älteren ägyptischen
Stils, der als „völlig Idealisch“ definiert wird, folgen mehrere Beispiele für denselben:
„Die vornehmste Figur dieses Stils ist Männlich und sitzend, von Alabaster welcher
bey Theben gebrochen wurde [...]. Ferner ist ein Anubis von Granit in Lebensgröße
anzuführen.“ Als drittes Beispiel wird eine „auf die Knie sitzende Weib
liche Figur“
angegeben.27
Es folgen der zweite und „spätere Stil“ der ägyptischen Kunst, der auf die Alexan-
drinische Zeit datiert und gegenüber dem älteren Stil als „sehr verschieden“ und von
Griechenland beeinflusst gesehen wird. In der Villa Albani befand sich hierfür leider
24 Winckelmann an Stosch, Rom, 10. April 1761, in: Winckelmann 1759–1763 (Rehm 1954), 135.
25 Ebenda, 135. Der italienische Entwurf hat sich im Nachlass des bayerischen Historikers Andreas
Felix von Oefele erhalten und liegt in einer modernen Edition vor: Winckelmann (Moisy /
Sichtermann / Tavernier 1986). Umfassend zur Entstehung dieser Texte: Tavernier 1986, 69–104.
26 Winckelmann 1759–1763 (Rehm 1954), 135.
27 Ebenda, 136.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur