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148 Werner Telesko
nicht zu oft in das Ohr geraumt [sic!] werden […]“.27 Die Zeichnung, das Hell-
Dunkel, Modellierungen und Schattierungen sind im Folgenden die von Sonnenfels
höchst kenntnisreich abgehandelten Grundfragen der Porträtkunst, wenn er abschlie-
ßend fast lehrbuchhaft mit der Abgrenzung zwischen Disegno und Colore eine der
zentralen Problemstellungen frühneuzeit licher Kunstgeschichte thematisiert: „Die
Zeichnung ist gleichsam nur die Idee des Gemäldes, die Färbung schafft das Gemälde
selbst.“28 Diese Fragen des konkreten Verhältnisses zwischen dem Disegno und der
Färbung vertiefen bereits angesprochene Problemstellungen, wobei zum Teil sehr
konkrete praktische Aufgaben, etwa die Verwendung des spezifischen Kolorits bei der
Wiedergabe männ licher Personen, behandelt werden.
Aus geschicht
lichen Prämissen und Fragen des täg
lichen Kunstunterrichts kommt
Sonnenfels wiederum zu eigenen Forderungen, die er dem Künstler anempfiehlt: „Der
Künstler setze sich über dieses Gewöhn liche, oder wie ich es lieber nennen möchte,
Althergebrachte hinweg! Er gebe seiner Figur eine Handlung! Er gebe seinen Köpfen
einen Karakter, einen Ausdruck! Er habe das Herz sie in einer Gemüthsbewegung, zu
fassen;“29 Davon ausgehend erteilt Sonnenfels auch in Bezug auf andere Aufgabenstel-
lungen – wie das Gruppenporträt – detaillierte Ratschläge: „Er wisse, seine Figuren zu
gruppieren! die Gruppen so zu ordnen, daß sie einander nicht verstellen, sondern sich
wechselweise in der Handlung unterstützen!“30 Nur dadurch werde es möglich, so die
wiederholt vorgebrachte Meinung von Sonnenfels, notwendige Beziehungen und
Empfindungen zwischen den in einem Gemälde dargestellten Personen wiederzuge-
ben: „Die verschiedenen Beziehungen, und Abstände derjenigen, die Theile des
Gemäldes ausmachen, werden ihm die Handlungen, die die Empfindung, unter wel-
cher er jede unter ihnen vorstellen soll, anzeigen. Ein Vater wird auf seine Familie mit
Liebe sehen; eine Mutter wird ihren sorgfältigen Blick auf ein vor ihr spielendes Kind
geheftet haben; ein kleiner Knab wird jugendlich muthwillig scherzen; ein anderer, wie
dort Astianax [recte: Astyanax, Sohn des Hektors und der Andromache], sich in die
Falten seiner Mutter schmiegen. Ein Maler, der Gefühl hat, wird die reizendsten häus-
lichen Auftritte und Gesellschaftsstücke, in unend
licher Mannigfältigkeit auszuführen
wissen.“31 Mit dieser ausführ lichen Beschreibung könnte Sonnenfels durchaus ein
konkretes Gemälde des Trojanischen Krieges, der gerade in diesen Jahrzehnten ein
ikonographisches revival erlebte, im Sinn gehabt haben. Hinsichtlich der Vielfalt der
dabei angesprochenen emotionalen Beziehungen zwischen den Personen einer Familie
reflektiert Sonnenfels offensichtlich Denis Diderots berühmtes Hausvaterstück Le
Père de famille (1758) und den in dessen Rezeption europaweit verstärkt auf den Plan
tretenden Kult der Empfindsamkeit. Damit wurde der Wiener Akademiesekretär
27 Ebenda, 43. Sonnenfels zitiert hier die Quelle von Roger de Piles nicht explizit, es dürfte sich aber um
eine Stelle aus dessen Cours De Peinture Par Principes (1708, 17–18) handeln.
28 Ebenda, 45.
29 Ebenda, 54–55.
30 Ebenda, 64.
31 Ebenda, 64–65.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur