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Joseph von Sonnenfels und die Publizität der bildenden Kunst 149
offenbar auch mit der neuen Institution des Pariser Salons konfrontiert: Viele Arten
von Geschmack und eine Seele, die empfänglich für unendlich verschiedene Begeiste-
rungen sei, wünschte sich der französische Enzyklopädist Diderot in Bezug auf die
Kunstbetrachtung.32 Er selbst kam diesem Ideal nahe – mit seinen oft widersprüch-
lichen Besprechungen der zweijähr
lichen Ausstellungen des Pariser Salons, die er zwi-
schen 1759 und 1781 für einen Abonnentenkreis verfasste. Die publizistisch weit ver-
breitete und reflektierte Kunstkritik Diderots erlaubte es zudem einem nicht in der
Metropole Paris weilenden Interessentenkreis, an den kenntnisreichen Analysen die-
ses Schriftstellers teilzuhaben und diese für die jeweils spezifische Situation vor Ort zu
adaptieren.
Ebenso propagiert auch Sonnenfels mit seinen Ratschlägen – ohne jedoch konkrete
zeitgenössische Werke zu besprechen – eine bestimmte Form der Kunstkritik, die
Normatives, also vorwiegend an der Antike Geschultes, mit dem aktuellen Postulat
der Empfindsamkeit kombiniert. Es ist diese auffällige Divergenz zwischen dem radi-
kalen Kult der Antike einerseits und dem merkwürdigen Desinteresse am gegenwär-
tigen österreichischen Kunstschaffen andererseits, die bei den Ausführungen von
Sonnenfels besonders ins Auge sticht.
An den wesentlichsten Stellen des hier kurz vorgestellten Traktats sind nicht die
Meister der Frühen Neuzeit die entscheidenden historischen Kronzeugen, sondern die
antiken Künstler Apelles, Praxiteles und Phidias. Sonnenfels schließt seine Publikation
mit einem emphatischen, an die angeblich uneigennützige Seele des Künstlers gerich-
teten Appell: „Er vergeselle [sic!] das Verdienst der Ähnlichkeit mit einer richtigen,
edeln Zeichnung, mit einem wahrhaften Kolorite!“33 Freiheit, Verstand, Geschmack
und Empfindung sind im Folgenden die abschließend recht allgemein formulierten,
aber durchaus zeittypischen Orientierungspunkte, die – so die Hoffnung von
Sonnenfels – zu „Meisterstücke[n] der Geschichte“34 beitragen können und sollen.
Erst im letzten Satz seiner Schrift Von dem Verdienste des Portraitmalers findet der
Autor zu einer Huldigung Maria Theresias: „In solchen Werken m. H. sind Sie ver-
bunden, den Enkeln das Bildniß Theresiens einst zu überantworten, in deren gött-
lichem Antlitze, Huld und Erhabenheit der Seele in unverkennbaren Zügen geschil-
dert sind, deren unsterb liche Thaten den verpflichteten Künsten zu den erhabensten
Erfindungen unerschöpfl
ichen Stoff anbieten.“35 Die Regentin Maria Theresia wird
von Sonnenfels somit erst zu einem Zeitpunkt ins Spiel gebracht, als es um die Weiter-
tradierung ihres konkreten Antlitzes geht, womit Sonnenfels in seiner kunsttheoreti-
schen Untersuchung das Bildnis des Menschen schlechthin an das vorbildhafte seiner
kaiser lichen Mäzenatin koppelt. Nicht die reiche Kunstproduktion unter der Habs-
burgerin wird in den Blick genommen, um – etwa ausgehend von konkreten Künstlern
und Werken – mög liche gegenwärtige Defizite in Konzeption und Produktion, sowie
32 Vgl. Cammagre / Talon-Hugon 2007.
33 Sonnenfels 1768, 76 [im Original fälschlich 67].
34 Ebenda, 77.
35 Ebenda, 77.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur