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Wie ordnet sich Habsburg? Stillstellung und Beweglichkeit um 1780 173
Reaktion auf ein gemeinsames Phänomen zu sehen: Beweglichkeit. Beide Formen der
Adressierung zielen darauf ab, in der Nummernlosigkeit der Masse die beweg lichen
Einheiten zu erfassen und festzuhalten. Dabei bedienen sich beide Adressierungen
einer Listen-Logik, deren Einträge neben dem Namen der Autoren / Rekruten den
jeweiligen Aufbewahrungsort verzeichnen. Doch die katalogischen Maßnahmen gegen
die Beweglichkeit der Menschen und Bücher müssen ihrerseits einer Logik der Beweg-
lichkeit gehorchen. Das starre System der buchgebundenen Bücherverzeichnung ist
angehalten, dynamisch und flexibel zu werden. Eine Reihe von Techniken und Strate-
gien macht dies möglich – die unter der Projektbezeichnung Josephinischer Zettel-
katalog in die Bibliotheksgeschichte eingegangen sind.
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„[D]ie Arbeit ist angefangen worden den 22. may 1780“, hält der Bibliothekspräfekt
Gottfried von Swieten in einem kleinen Zusatz zur Vorschrift worauf die Abschrei-
bung aller Bücher der k. k. Hofbibliothek gemacht werden solle18 fest. Was gemacht
werden solle, ist nichts anderes, als der k. k. Hofbibliothek endlich jenen vollständigen
Katalog zu verschaffen, den sie bislang entbehrte.19
Während die Bibliotheksleiter des Mittelalters nach der jähr
lichen Auswertung
ihrer Inventarlisten regelmäßig eine „Bestandsverminderung“ zu verzeichnen hatten,20
können sich Bibliotheksleiter im Zeitalter der Aufklärung über anschwellende Daten-
ströme von Druckwerken freuen. In der Phase, während derer Gerhard und Gottfried
van Swieten der Wiener Hofbibliothek vorstehen,21 erfährt der deutsche Buchmarkt
eine spürbare Steigerung seiner Produktivität. Das lässt nicht nur die Anzahl der Ver-
öffentlichungen hochschnellen, sondern beschert den Bibliotheken auch glanzvolle
Bilanzierungen. Dabei ist es nicht unwesentlich zu fragen, woraus sich die Bestände
der Hofbibliothek ab 1750 vornehmlich speisen.
Zahlreiche Innovationen bei der technischen Herstellung von Büchern und Papier
führen zu einer rasanten Steigerung in der Buchproduktion zwischen 1760 und 1765.22
Ebenfalls förderlich für die Bücherflut wirken die Zunahme an Lesern und Leserinnen
durch die allgemeine Alphabetisierung sowie die daraus folgende Umstellung von
Literatur selbst und der vielfach kommentierte Wechsel in den Lesegewohnheiten.23
18 Wien, ÖNB, Akt HB 125/1780, 1. Teil.
19 Vgl. Wieser 1968, 240–241.
20 Vgl. Buzás 1975, 143. Man denke nur an am Pult angekettete Folianten, „Verluste durch die Benüt-
zung“, Feuer oder die laxe Rückgabemoral humanistischer Gelehrter, die mithin als Diebstahl
beschrieben wird.
21 Diese reicht von 1745 bis 1803, unterbrochen von der Interimsleitung des Ersten Kustos und späteren
Direktors Kollar nach Gerhards Tod 1772 bis zur neuen Präfektur Gottfried van Swietens 1777; vgl.
insgesamt Stummvoll 1968.
22 Zu konkreten Zahlen sowie Hinweisen und Ausführungen zu vielfältigen Gründen vgl. Bosse 1981,
85, und Schön 1987, 41–44.
23 Ebenda und detailliert vgl. Kittler 1995, 37–55 und 178–188.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur