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174 Markus Krajewski
Hinzu kommt eine administrative Schleusenöffnung, die zumindest in Österreich den
gewöhn lichen, bisweilen spär lichen Zufluss von Pflichtexemplaren,24 verstärkt durch
unregelmäßige Einverleibungen eigenständiger Büchersammlungen,25 über alle Maßen
anwachsen lässt und eine katalogpraktische Kanalisierung erforderlich macht. Im
Jahre 1773 wird die jesuitische Ordensgemeinschaft von Papst Klemens XIV. für auf-
gelöst erklärt. Diesem allerhöchsten römischen Entschluss geht ein jahrzehntelang
tobender Kampf voraus: Ausgehend von der 1713 in den Österreichischen Niederlan-
den beginnenden Verfolgung der Jansenisten soll der Vormachtstellung der Jesuiten
mit ihrem notorischen Einfluss in Staatsfragen ein Riegel vorgeschoben werden.26 In
Österreich selbst gewinnt diese Auseinandersetzung erst an Stärke, nachdem Gerhard
van Swieten zum Leibarzt von Maria Theresia ernannt und im Zuge dessen auch mit
der Aufgabe betraut wird, das österreichische Bildungs- und Unterrichtswesen grund-
legend zu reformieren.27
Geprägt durch seine strenge Erziehung in der Theresianischen Ritterakademie
(Theresianum) und den dortselbst praktizierten jesuitischen Exerzitien, ist sein Sohn
Gottfried van Swieten ebenfalls gegen die Jesuiten eingenommen28 und führt das
Reformwerk des Vaters fort – auch und vor allem gegen die Societas Jesu.29 Am
6. Dezember 1779 ergeht von ihm ein Erlass an sämt liche Länderstellen: „Nachdem
unserer Majestät, unserer allergnädigsten Frauen zu vernehmen gekommen, wienach
unter denen bey Aufhebung des Jesuiter Ordens vorgefundenen Schriften noch ver-
schiedene die Vermögens- und andere Umstände dieses erloschenen Ordens betref-
fende wichtige Papiere vorgefunden seyn sollen, als habe euer Exzellenz in allerhöch-
sten Namen zu erinnern, daß dieselben über alle diese Schriften und Urkunden ein
genau- und verläß liches Verzeichnis verfassen zu lassen und selbes bald möglichstens
an mich einzubefördern hätten.“30
24 Deren regelgerechte Abgabe seitens der Druckereien, was auf eine Anregung von Hugo Blotius
zurückgeht, bereitet der Bibliotheksverwaltung immer wieder Nachregelungsbedarf, da dem Gebot
nur vereinzelt gefolgt wird. Als unabhängiger Vergleich, den die Administration durchzuführen
gezwungen wird, findet der Leipziger Meßkatalog seine Anwendung. Denn dieser verzeichnet – das
erfordert das kaufmännische Kalkül – alle Neuerscheinungen; vgl. Wieser 1968, 278.
25 Laut dem Bericht Gottfied van Swietens über die Hofbibliothek in den Jahren 1765 bis 1787 kamen
„theils durch ausserordent
liche Wege, theils durch ihren ordent lichen Fond“ 21.000 gedruckte
Bücher, 780 Handschriften, 90.000 Kupferstiche bzw. Handzeichnungen und 5089 Diplomata in die
Hofbibliothek; vgl. Swieten 1787 (Stummvoll 1968). Erwerbungen u. a.: Kauf der alten Wiener Stadt-
bibliothek; Ersteigerung von 160 Werken zur niederländischen Geschichte aus niederländischen
Jesuitenklöstern und aus der Bibliothek des Herzogs Karl von Lothringen; 600 Werke aus der Pariser
Versteigerung der Bibliothek des Louis-Cèsar La Baume, Duc de la Valliere. Vgl. Handbuch der
historischen Buchbestände in Österreich 1994, 44.
26 Vgl. Winter 1943, 33, und Lesky 1973, 19–20.
27 Vgl. Stollberg-Rilinger 2017.
28 Bernhardt 1930, 85–86, leitet daraus eine gebrochene, zur Subalternität neigende Persönlichkeits-
struktur van Swietens ab.
29 Vgl. detaillierter Wangermann 1978.
30 Wien, ÖNB, Akt HB 134/1780; zit. nach Radlecker 1950, 106.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur