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212 Thomas Wallnig
Wissenslandschaft ein eindeutig habsburgisches Gepräge gegeben hat, das unseren
Blick bis heute bestimmt.
Dieses traditionelle Narrativ ist eines von Gründungen, Sammlungen und Expedi-
tionen, es ist eine klassische Stifter-Erzählung: „Mit größter, in diesem Erzhause tradi-
tioneller Freigiebigkeit“26 wurde eine Wissenschaft gefördert, die leicht in eine Erzäh-
lung vom aufgeklärten Staat integriert werden konnte, in welchem – ebenso wie in den
1980er-Jahren – die widerstrebenden Kräfte friedlich miteinander interagieren konn-
ten: „Daß ausgerechnet das Haupt der Freimaurer Born den Chorherrn Stütz in den
höheren Wissenschaftsdienst beim Kaiser holte und daß an diesem Beispiel
freundschaft liche Querverbindungen sichtbar werden zwischen jener aufklärerischen
Gesinnungsgemeinschaft und der die österreichisch-böhmisch-ungarische Geistes-
geschichte stark und positiv prägenden, gebildeten Geistlichkeit – das ist kennzeich-
nend für jene Zeit mit ihren (in unserem Geschichtsbewußtsein zu wenig beachteten)
Ansätzen und Möglichkeiten. Der Verlauf der Französischen Revolution und die Art,
in der man sich infolgedessen am Wiener Hof mit ,Westeuropäischem‘ auseinander-
zusetzen pflegte, verdarb eben alles, was sich da hätte anbahnen können, ja zum Teil
schon angebahnt hatte.“27 Hinzu kommt der Anspruch, eine als ungerechtfertigt emp-
fundene wissenschaftsgeschicht liche Defizienz zu widerlegen, sei es bei einem Ver-
gleich von Thaddäus Haenke und Alexander von Humboldt,28 der Entwicklung des
Blitzableiters durch Prokop Divisch29 oder der Rolle von Jakob Degen „am Beginn der
Entwicklung des ‚Fliegens schwerer als Luft‘, das sich letztendlich durchsetzen
sollte“.30 All dies spiegelt die Vorstellung einer „österreichischen Wissenschaft“, die es
so um 1780 zu konstruieren galt, die aber damals bei Weitem nicht das einzige mög-
liche Paradigma darstellte.
Es soll mit dieser Schlussfolgerung keinesfalls angedeutet sein, dass digitale
Momentaufnahmen wie die dargebotenen einen Ersatz für quellenbasierte und akade-
misch verschriftlichte Forschungsarbeit darstellen können und sollen. Dass diese
durchaus in der Lage ist, einen anderen und neuen Blick auf das späte 18. Jahrhundert
in der Habsburgermonarchie zu ermög lichen, zeigen zwei rezente Studien: Die von
Helga Hühnel und Marianne Klemun vorgelegte Studie zu Nikolaus Joseph von
Jacquin, die wissenschaftsgeschichtlich sehr aufmerksam auf Orte und Räume der
Wissensgenerierung eingeht und dabei stets die Selbstinszenierung des habsburgischen
Wissenschaftlers im Blick hat;31 oder die Untersuchung von Franz Fillafer, in welcher
die unterschied
lichen Aneignungsstrategien und -praktiken der „habsburgischen“
26 Hamann 1983, 166.
27 Ebenda, 164.
28 Ebenda, 156.
29 Ebenda, 177.
30 Vocelka 2003, 269.
31 Klemun / Hühnel 2017.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur