Seite - 215 - in Schöne Wissenschaften - Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
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Gnade, Vergünstigung oder Recht
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In den letzten Jahren haben die Forschungen zu den habsburgischen Sammlungen des
Hofes in Wien an Dynamik gewonnen, wobei insbesondere die zweite Hälfte des
18.
Jahrhunderts in den Mittelpunkt des Interesses rückte.1 Im Folgenden soll versucht
werden, die Interpretation des Quellenmaterials einen weiteren Schritt voranzu-
bringen, und zwar speziell in Bezug auf die Öffnung der Sammlungen für ein neues,
mehrschichtiges Publikum durch Maria Theresia und Joseph
II. und die anschließende
Kehrtwende unter Franz II. (I.). Als Quellen dienen insbesondere die Verordnungen
seitens des Hofes zwischen etwa 1765 und 1825 sowie die Reaktionen der jeweiligen
Kabinetts- und Galeriedirektoren und anderer Beteiligter. Des Weiteren liegen einige
Zeugnisse von Besuchern und Publizisten in Reise- und Stadtbeschreibungen vor.
Bei der Sichtung dieser Materialien zeichneten sich drei Aspekte ab, denen bislang
wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zunächst fällt auf, dass auf die schrittweise
Öffnung der Hofsammlungen rasch Beschwerden seitens der Verwalter, insbesondere
des Naturalienkabinetts und der Bildergalerie, über die neuen Besucher folgten. Man
gewinnt den Eindruck, dass die Kaiserin keine realistische Vorstellung von den Folgen
ihrer Maßnahmen hatte. Dieser „Irrtum“ lässt sich erst verstehen, wenn wir betrach-
ten, in welches Denkmuster die Öffnung der Sammlungen seinerzeit passte. Ein erster
Anstoß dazu wird hier durch ein Close Reading der Verordnungen und der hervorge-
rufenen Reaktionen gegeben. Dabei stellt sich heraus, dass der Zugang zwischen
ca. 1765 und 1825 nacheinander auf drei unterschied
liche Weisen verstanden wurde:
als Gnade, als Vergünstigung und als Recht. Diese drei Konzepte, die als repräsentativ
für die einzelnen Phasen der Beziehung zwischen Monarch und Untertanen angesehen
werden können, werden sich im ersten Abschnitt abzeichnen.
Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Zusammensetzung der überraschend brei-
ten und bunten Palette an Besuchergruppen, die eine weitere Öffnung der Sammlun-
gen mit sich brachte. Anhand zeitgenössischer Äußerungen lässt sich nahezu eine
Stratifizierung der Bevölkerungsgruppen durchführen. Im zweiten Abschnitt wird der
Versuch unternommen, die einzelnen Besuchergruppen in Bezug auf ihr Interesse an
einem Besuch der Hofsammlungen zu charakterisieren.
Der dritte Aspekt ist begriffshistorischer Natur und bezieht sich auf „das Publi-
kum“ als Terminus. Nach ca. 1765 eroberte es als Lehnwort aus dem Französischen
auch den deutschen Sprachraum.2 Abschnitt drei wird jedoch zeigen, dass in den
1 Hassmann 2013 und 2015; Swoboda 2013; Fischer 2013; Hohn 2017.
2 Hölscher 1979; Kernbauer 2007. Aus Perspektive des Sammlungs- und Museumsbesuchs im 18. Jahr-
hundert wurde der Begriff Publikum noch wenig untersucht (Meijers 2016), anders als im Verhältnis
zur Leserschaft und zum Theater- und Konzertbesuch.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur