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216 Debora J. Meijers
Hofdokumenten kaum von „Publikum“ gesprochen wird, zumindest nicht, um damit
die Besucher der Galerie und der Kabinette zu bezeichnen. In dieser Bedeutung wird
dieses Wort am Hof erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts verwendet, beispielsweise
1813 von Galeriedirektor Heinrich Friedrich Füger und 1825 von Galeriedirektor Josef
Rebell. Da dieser Umstand bislang vernachlässigt wurde, gilt es zu untersuchen, von
wem und in welcher Bedeutung dieser Begriff bereits früher verwendet wurde und ob
sich daraus Schlüsse hinsichtlich der Zugänglichkeit der Hofsammlungen ziehen lassen.
Stadien und Formen von Öffentlichkeit
An den meisten europäischen Fürstenhöfen war es schon vor Mitte des 18. Jahrhun-
derts üblich, Personen von Stand, Gelehrten und Liebhabern Zugang zu den dort
zusammengetragenen Sammlungen zu gewähren.3 Schließlich konnten diese Besitz-
tümer eines Königshauses nur vom materiellen und geistigen Reichtum zeugen, wenn
sie gesehen wurden. Am kaiser lichen Hof in Wien galt diese repräsentative Öffentlich-
keit4 ganz besonders für die Gemäldegalerie. Die drei Kabinette für Naturalien (Mine-
ralien, Fossilien und Muscheln), für physikalische, astronomische und mathematische
Instrumente und für moderne Münzen waren jedoch Privatbesitz von Kaiser Franz I.
Stephan, dem Gemahl Maria Theresias, und dienten mehr seiner privaten Nutzung.
Der Kaiser setzte sich aktiv für die wirtschaft
liche Entwicklung der Erblande, insbe-
sondere den Bergbau ein. Neben einem Labor und einer Bibliothek stellten seine
Sammlungen dabei sein Arbeits- und Dokumentationsmaterial dar. Die Zahl der Besu-
cher, der Gelehrten, Studenten und anderen direkt Interessierten blieb dadurch
begrenzt.5 Das änderte sich binnen kurzer Zeit, als sich zwischen 1769 und 1773 eine
breitere Öffnung dieser Kabinette und der Schatzkammer auch für andere Bevölke-
rungsgruppen vollzog.6 Die Gemäldegalerie folgte im Jahr 17777; Künstler hatten dort
seit Anfang 1773 Zugang erhalten, und zwar im Rahmen der Reorganisation der
Akademie der bildenden Künste.8
Um den Stellenwert dieser Entwicklungen richtig einschätzen zu können, müssen
sie aus drei Perspektiven untersucht werden. Zunächst passen sie in ein internationales
3 In Ländern ohne Monarchie wie der Republik der Vereinten Niederlande, der Schweiz und der Repu-
blik Venedig war ein gewisses Maß an Zugänglichkeit für (städtische) Sammlungen bereits seit dem
17. Jahrhundert, bisweilen sogar seit dem 16. Jahrhundert üblich: Bergvelt 2010, 172; Meijers 2007, 42.
4 Habermas 1974, 22–25. Vgl. z. B. die Besichtigung der Hofsammlungen, mit denen Joseph II. den
Großherzog Paul von Russland bei seinem Besuch in Wien im Winter 1781 unterhielt; Beales 2009,
126–131.
5 Zedinger 1999, 221–222, und dies. 2000, 132–139; Hassmann 2015, 16 und Dok. 5, 60–61.
6 Hassmann 2013, Dok. 18, 43 und 49. Für die Schatzkammer bedurfte es einer Voranmeldung. Vgl.
auch die schematische Darstellung bei dies. 2015, 71.
7 Ebenda, 85 und 69 (Exkurs zu Dok. 20). Vorhaben für die breitere Öffnung der Bildergalerie gab es
bereits 1774; vgl. Hassmann 2013, Dok. 18. Die Verlegung der Galerie in das Obere Belvedere war am
3. Mai 1776 abgeschlossen. Danach galten ab April 1777 Montag, Mittwoch und Freitag als allge-
meine Besuchstage; ebenda, Dok. 24 und 43.
8 Zimmermann 1903, Nr. 19379.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur