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Die Zugänglichkeit der k. k. Hofsammlungen in Wien und das Publikum 217
Muster: Der Zeitraum von ca. 1765 bis 1780 lässt sich in museologischer Hinsicht als
erste Phase eines Prozesses tief greifender Veränderungen sehen, die sich auf die admi-
nistrative Zuordnung, den Standort im Palast, die Ordnung und die Zugänglichkeit von
Hofsammlungen bezogen.9 Zweitens sind die Maßnahmen vor dem Hintergrund von
Maria Theresias Reformpolitik und insbesondere ihrer Neuorganisation des Bildungs-
wesens zu betrachten.10 Und schließlich gab ein ganz persön
licher Faktor den unmittel-
baren Anstoß: das Ableben ihres Gemahls Franz Stephan im Jahr 1765. Der Prozess der
Öffnung begann kurz nach seinem Tod und zu seinem Gedenken mit der räum
lichen
Zusammenführung der drei Sammlungen, die er hinterließ.11 Ab 1766 in acht Sälen ent-
lang des Augustinerganges ausgestellt, bildeten das Naturalienkabinett, das moderne
Münzkabinett und das Physikalische Kabinett fortan gemeinsam mit dem habsburgi-
schen (antiken) Münzkabinett eine für Besucher zugäng
liche Galerie.12 Überdies wur-
den sie „in die Hofstaatsverwaltung überführt“ und damit neben der Gemäldegalerie
und der Schatzkammer unter die Verwaltung des Oberstkämmereramtes gestellt.13 Die
Kabinette befanden sich nun, so Hassmann, „in der Randzone des Hofburgkomplexes,
außerhalb des Kern- und Wohnbereichs, in unmittelbarer Nähe zur Hofbibliothek“.14
Dieser Artikel konzentriert sich auf den nächsten Schritt: die Öffnung der Galerie
und Kabinette für mehr Bevölkerungsgruppen. Es begann mit dem Naturalienkabi-
nett, für das es, wie in der Stadtbeschreibung von Mathias Fuhrmann erwähnt, „Ihro
Kaiserlich-König liche Apostolische Majestät“ zu verordnen geruhte, den Zugang ab
1769 nicht mehr auf Gelehrte und Personen von Rang zu beschränken, sondern den
Montagvormittag von 9 bis 12 Uhr für „alle Künstler, alle vom Handel- und Bürger-
stand beyderley Geschlechts“ zu reservieren. Ziel war es, „den Nutzen dieses herr-
lichen Denkmales der Munifizenz weiland Ihro Majestät des Kaisers glorreichstes
Andenken, allgemein zu machen“, und der Beschluss wurde „in der Zuversicht, dass
das Publicum diese allerhöchste Gnade, durch ungeziemendes Betragen keineswegs
missbrauchen werde“,15 gefasst.
9 Vgl. u. a. Savoy 2006; Buttlar 2006; Meijers 2013.
10 Diese Beziehung würde eine eigene Studie verdienen. Zur Bildungsreform Maria Theresias vgl. u. a.
Vocelka 2017, 41–53; Kowalská 2017.
11 Vgl. den Beitrag von Christa Riedl-Dorn in diesem Band.
12 Hassmann 2015, 16 und Dok. 5, 60–61; Lorenz / Mader-Kratky 2016, 503–507 (Anna Mader-Kratky
und Jochen Martz).
13 Lhotsky 1941–1945, 422, verwendet den verwirrenden Terminus „verstaatlicht“; Hassmann 2015, 37,
spricht von „hofstaat licher Verwaltung“; ebenda, Dok. 31, 24. Dezember 1774: Maria Theresia ord-
nete eine gemeinsame Administration durch das Obersthofmeisteramt und das Oberstkämmereramt
an. Ende des 19. Jahrhunderts stellte man fest, dass diese Verwaltungsform keineswegs bedeutete, dass
die k. k. Sammlungen Staatseigentum waren; sie waren immer noch habsburgischer Besitz; vgl. auch
Meijers 2013, 397–400.
14 Hassmann 2015, 16–17 und Abb. 5, 13, 14; vgl. auch dies. in diesem Band.
15 Hassmann 2015, 85 und 69 (Exkurs zu Dok. 20), verweist auf die Stadtbeschreibung von Fuhrmann
1770, III, 589. Der Montagvormittag galt traditionell in vielen Klein- und Handwerksbetrieben als
freier Vormittag (Blauer Montag). Vgl. unten auch die kritische Anmerkung von Pezzl im Jahr 1787.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur