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218 Debora J. Meijers
Es lohnt sich, die einzelnen Bestandteile dieser entscheidenden Botschaft näher zu
betrachten, umso mehr, als es sich hier vermutlich um die Paraphrase eines offiziellen
Berichts seitens des Hofes handelt. Hier soll zunächst die Charakterisierung dieser
neuen Zulassungspolitik als allerhöchste Gnade erörtert werden.
Ende des 18. Jahrhunderts beschreibt Johann Christoph Adelung den Begriff Gnade
als „die unverdiente Neigung eines Höhern, einem Geringern Wohlthaten zu erwei-
sen“, eine Definition, in der religiöse Konnotationen mitschwingen.16 Bevor die Gewäh-
rung des Zugangs zu Hofsammlungen ein Recht wurde, war noch ein langer Weg zu
gehen, der in mehreren Etappen selbst bis ins 20. Jahrhundert hinein reichte. Den ersten
Wendepunkt auf diesem Weg stellte die Französische Revolution dar, und zwar nicht so
sehr in Hinblick auf das Maß der Zugänglichkeit (das in den davor liegenden Jahrzehn-
ten insbesondere im deutschen Sprachraum bereits erheblich zugenommen hatte),17 als
vielmehr in Hinblick auf die recht
liche Grundlage, auf die sich diese Zugänglichkeit
stützte. Mit der Ausrufung der Französischen Republik und der Verstaatlichung der
ehemals könig
lichen Sammlungen hatte dort generell die gesamte Bevölkerung
Zugangsrecht erhalten. In der Habsburgermonarchie hingegen hatte die aufgeklärt-
absolutistische Politik Maria Theresias und Josephs II. diese revolutionäre Entwicklung
abgefangen, indem ab 1769 schrittweise als „allerhöchste Gnade“ an bestimmten Tagen
unbegrenzter und unentgelt
licher Zugang zu den Hofsammlungen gewährt wurde.18
Dass das Konzept Zugangsrecht von Frankreich aus auch Österreich erreicht hatte,
wenn auch in negativem Sinne, davon zeugen zumindest die Worte von Friedrich
Heinrich Füger, Direktor der kaiser lichen Gemäldegalerie, vom 26. April 1813. Aus
Unmut über die Folgen der „ehemals [d. h. seit 1777] aus den besten und humansten
Absichten bestehenden unbedingten freyen Einlasse in die Galerie“ bat er um Maß-
nahmen zur Regulierung des Zulaufs unerwünschter Besucher und erinnerte daran,
„daß der öffent liche Einlaß eine Vergünstigung Seiner Majestät, aber kein unbedingtes
Recht“ war.19 Damit gibt er faktisch zu erkennen, dass die Zugänglichkeit der k. k.
Bildergalerie im Jahr 1813, kurz nach ihrer Wiedereröffnung nach der französischen
Besetzung, immer noch auf den Prämissen des Ancien Régime fußt, mit dem Unter-
schied, dass er nicht mehr von der eher religiös konnotierten Gnade sprach, sondern
vielmehr den säkular geprägten Begriff Vergünstigung verwendete.20
Mit diesen Begriffen bietet Fügers Aussage ein Hilfsmittel, mit dem sich Phasen
und Modalitäten der Zugangsgewährung charakterisieren lassen. Aber der Rest seiner
Argumentation wirft Fragen auf. So legt er dar, dass in den Kabinetten durchaus
16 Adelung 1793–1801, II, 1796, 736–738.
17 Savoy 2006.
18 Hassmann 2015, 69–72: „Exkurs zu den Öffnungszeiten der k. k. Sammlungen“, auf Seite 71 schema-
tisch zusammengefasst.
19 Wien, HHStA, OKäA, Akt Nr. 686 ex 1813: Direktor Füger beantragt am 26. April 1813, die Öff-
nung der Bildergalerie für das allgemeine Publikum von drei Besuchstagen auf zwei zu beschränken
und Eintrittskarten einzuführen; zit. nach Lhotsky 1941−1945, 488.
20 Adelung 1793–1801, III, 1798, 1001–1003, Recht: „[…] ein in den Gesetzen gegründetes Befugniß, ein
in denselben gegründeter Anspruch.“ Ebenda, IV, 1801, 1053, Vergünstigung: „[…] Erlaubniß.“
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur