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Die Zugänglichkeit der k. k. Hofsammlungen in Wien und das Publikum 219
„Anstand und Ordnung“ herrschen, während in der Galerie die Erfahrung mit dem
„ehemals aus den besten und humansten Absichten bestehenden unbedingten freyen
Einlasse“ das Gegenteil gezeigt hat. Wenn er damit meint, dass für die Kabinette regu-
lierende Maßnahmen ergriffen worden sind und für die Galerie nicht, so drängt sich
die Frage auf, was die Ursachen für diese unterschied
lichen Herangehensweisen gewe-
sen sein können.
Bereits ein halbes Jahrhundert vor Fügers Bitte um Regulierung hatte die verstärkte
Zugänglichkeit bei einigen Kabinettsdirektoren Unmut hervorgerufen. Die erste
belegte Beschwerde datiert von 1766 und stammt aus dem modernen Münzkabinett.
In dem Fall ging es um die Zunahme der üb lichen traditionellen Besucher, die bereits
im ersten Jahr nach der Verlegung der drei kaiser
lichen Kabinette in den oben erwähn-
ten Augustinergang festzustellen war. Nach Aussage des Direktors des Münzkabinetts
Valentin Jamerey Duval bewirkte der Zustrom dieser curieux viel mehr Arbeit,
wodurch eine Erhöhung der Besoldung und ein zusätz
licher Mitarbeiter wünschens-
wert wären, wollte er in der Lage bleiben, seine Arbeiten, insbesondere die Inventari-
sierung der Münzsammlung, die ihm die Kaiserin aufgetragen hatte, ordnungsgemäß
zu erledigen.21
Die folgenden Maßnahmen spitzten die Situation für die Kabinettsdirektoren
zusätzlich zu, weil sie neue Besucherkategorien mit sich brachten. Wie bereits erwähnt,
ging es zunächst um das Naturalienkabinett, das seit 1769 jeden Montagvormittag
eigens für „alle Künstler, alle vom Handel- und Bürgerstand beyderley Geschlechts“
geöffnet worden war. Kurzum, Bevölkerungsgruppen, deren Berufsausübung die
Kenntnis der Natur zugutekommen und die so von mehr Nutzen für den Staat sein
konnten.22 Wenn wir der Beschwerde von Direktor Ludwig Balthasar von Baillou vom
1. Mai 1773 jedoch glauben dürfen, öffnete diese gut gemeinte Maßnahme lauter
Nichtsnutzen die Tür, die man unablässig beaufsichtigen müsse und an denen der
Zweck der Öffnung, „den Nutzen [des Kabinetts] allgemein zu machen“, völlig vor-
beigehe. Kurzum Leute, die ihn ebenso wie seinen Kollegen Duval von seiner momen-
tanen Arbeit an der Inventarisierung des Naturalienkabinetts abhielten.23
Interessanterweise war die allgemeine Öffnung am Montagvormittag (soweit
bekannt) eine Initiative des Hofs und kein Beschluss, der auf Drängen kritischer Stim-
men aus der Bevölkerung gefasst worden war.24 Maria Theresia und ihren Beratern war
offenkundig nicht bewusst, was eine solche unbeschränkte Zugänglichkeit mit sich
21 Hassmann 2015, 40 und 60–62, Dok. 5: 22. Aug. 1766. Von 1772 bis 1773 beauftragte Maria Theresia
im Rahmen der Reorganisation der Kabinette und der Gemäldegalerie alle Direktoren, Inventare
anzufertigen: ebenda, 17 und Dok. 16, 17, 21; dies. 2013, Dok. 8.
22 Vgl. unten in diesem Beitrag (S. 223).
23 Hassmann 2015, 68–69, Dok. 20, 1. Mai 1773.
24 Allerdings erschienen in der Presse Anschuldigungen hinsichtlich einer Vernachlässigung der kaiser-
lichen Gemäldegalerie in der Stallburg; vgl. z. B. Brief von Wien 1763, 326. Nicht zufällig hatte sich
der Autor längere Zeit in Paris aufgehalten, wo ab 1740 in unterschied
lichen Pamphleten die Öffnung
der Sammlungen des Königs gefordert wurde. McClellan 1994, 15–24; Meijers 2016, 39–40.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur