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Die Zugänglichkeit der k. k. Hofsammlungen in Wien und das Publikum 223
Standespersonen ebenso wie Gelehrte, Liebhaber und andere curieux immer Zugang.
Fuhrmann, der in seiner Stadtbeschreibung aus dem Jahr 1770 die Öffnung des Natu-
ralienkabinetts am Montagvormittag bekannt gab, ergänzte dies nachdrücklich,43 und
auch Baillou, der Direktor dieses Kabinetts, der 1773 darum bat, von der allgemeinen
Öffnung erlöst zu werden, versicherte der Kaiserin, dass „les Personnes de distinction,
les Savants, les Amateurs et les Curieux qui demandent a voir le Cabinet avec
l’explication seront toujours ajournés comme ils l’ont été jusqu’a present […]“.44 Dar-
aus geht hervor, dass Standespersonen in diesem Kontext in einem Atemzug mit
Gelehrten, Liebhabern und curieux genannt wurden. Da die Merkmale dieser beiden
Besuchergruppen sich zwar überschneiden, aber nicht durchwegs decken, werden sie
hier dennoch als getrennte Kategorien behandelt.
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Stände“
Auch bei dieser Kategorie handelt es sich um einen Besuchertypus, der seine Privile-
gien behielt. Es sieht allerdings so aus, als seien sie stärker von den Zugeständnissen
getroffen worden, die den neuen Besuchern seitens des Hofes gemacht wurden. Meh-
rere Äußerungen und Ereignisse bezeugen dies.
So berichtet Staatskanzler Wenzel Anton Fürst Kaunitz-Rietberg dem Kaiser 1780
über seine Intervention bei Christian von Mechels Neueinrichtung der Gemälde-
galerie: Ohne dem chronologischen System Gewalt anzutun, hat er im zweiten Ober-
geschoss so einige schlechte oder „doppelte“ Gemälde entfernt und bisweilen durch
bessere ausgetauscht. „En même tems“, so setzt er fort, „J’ai taché de faire simetriser
un peu plus, qu’on n’avait fait jusqu’à présent, parce qu’il n’est pas indifférent du tout
que l’oeuil [sic] de la multitude puisse être tout aussi satisfait de ce qu’il voit, ques [sic]
celui de l’homme docte et intelligent.“46
Der Begriff multitude verweist – nach Eva Kernbauer – nicht auf das niedere Volk
oder die Masse, Begriffe aus dem 19. Jahrhundert, die eine (vermeint liche) zusammen-
hängende Identität voraussetzen, sondern kann als die Menge oder der große Haufen
übersetzt werden. Es sind Begriffe, die für „die Unabgeschlossenheit, Wandelbarkeit
und Heterogenität einer Ansammlung von Menschen“ stehen, die „die Schließung zur
43 „Was übrigens die Gelehrte, und Personen von Rang betrift, welche von den in mehr erwehnten Kabi-
net befind
lichen Stücken ausführ
liche Erklärung verlangen, so können sich selbe wie bishero bey dem
Director um Bestimmung des Tages melden, an welchem er ihrem Begehren am füglichsten willfahren
kann.“ Zit. nach Hassmann 2015, 85, und Exkurs zu Dok. 20 verweist auf Fuhrmann 1770, 589–590.
44 Hassmann 2015, 68–69, Dok. 20, 1. Mai 1773.
45 Gelehrte (Maria Theresia 1774, Baillou 1773 über Naturalienkabinett, vgl. Hassmann 2015, 68–69);
die gebildeten Stände (Füger, Vorbericht 1813); Wissbegierige, Kenner (Haidinger 1782); les Amateurs
et les Curieux (Baillou 1773); Liebhaber (Franz II/I 1798, vgl. Hassmann 2015, 70).
46 Kaunitz an Joseph
II., 15. Juli 1780, zit. nach Gruber 2008, 199 (dort „multitude“ mit „Masse“ über-
setzt; berichtigt bei Fischer 2013b, 50: „Zugleich habe ich versucht symmetrischer zu hängen, als es
bisher der Fall war, denn es ist keinesfalls gleichgültig, dass das Auge der Menge gleichermaßen, von
dem was es sieht, befriedigt wird, wie das des gelehrten und intelligenten Menschen.“).
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur