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Die Zugänglichkeit der k. k. Hofsammlungen in Wien und das Publikum 225
3) „alle Künstler, alle vom Handel- und Bürgerstand beyderley Geschlechts“, „Lehrer“
Die Gruppen dieser Kategorie haben gemein, dass die Erlaubnis für den Besuch der
Sammlungen ihrer Berufsausübung dienen sollte. Im Mittelpunkt steht dabei der
Nützlichkeitsgrundsatz. Man ging davon aus, dass eine Qualitätssteigerung der Pro-
duktion (insbesondere von Luxusartikeln) und Förderung des Handels dem allgemei-
nen Wohlstand des Staates zugutekommen.
Maria Theresias Maßnahme aus dem Jahr 1769, dieser Kategorie Interessierter
Zugang zu den Kabinetten zu gewähren, war wortwörtlich dazu gedacht, „den Nutzen
[der Sammlungen] allgemein zu machen“.52 In gewissem Sinne setzte sie den Nut-
zungsansatz ihres Gemahls Franz Stephan fort und dehnte ihn auf das gesamte Berufs-
bürgertum aus. Um sich ein Bild davon zu machen, auf welche Bevölkerungsgruppen
es die Kaiserin vermutlich abgesehen hatte, können wir wieder Fuhrmann zurate zie-
hen, der in seiner Stadtbeschreibung auch die Wirtschaftstätigkeit von Wien und
Umgebung behandelt.53 Hier ist beispielsweise an Meister, Gesellen und Handwerker,
Männer wie Frauen, von Webereien und Druckereien von Luxusstoffen, Porzellan-
manufakturen, Silber- und Goldschmieden, Ateliers für Galanteriewaren aus Kristall,
Perlmutt, Schildpatt usw., Edelsteinschleifereien, Fabriken für Maschinenbauteile und
Manufakturen physikalischer und mathematischer Instrumente zu denken.54 Neben
den Werkstätten, in denen Lehrlinge in die Praxis eingewiesen wurden, waren bei
bestimmten Unternehmen auch Ausbildungen entstanden.55 Wahrscheinlich aber
waren es in erster Linie die Lehrer der von Maria Theresia neu gegründeten Schulen
und Bildungsinstitute, die ab 1774 freien Zugang zu den Kabinetten erhielten, „als ein
Hülff Mittel zu ihren Wissenschaften“.56 Mit „alle vom Handelstand“ meinte die
Kaiserin wahrscheinlich die Händler der oben erwähnten Produkte.57
Wegen Fehlens von Besucherbüchern oder vergleichbaren Quellen ist nicht über-
liefert, inwieweit die Mitglieder dieser Zielgruppen tatsächlich von der ihnen erwiese-
nen Gnade Gebrauch machten. Auch über ihre Erfahrungen damit wissen wir nichts.
Anhand der oben zitierten Anmerkungen Kaunitz’ und Haidingers können wir ledig-
lich vermuten, dass diese Gruppen in ihren Augen Teil der Menge waren, die „die […]
52 Fuhrmann 1770, 589.
53 Ebenda, Kapitel XXXIV, „Von verschiedenen Fabriken und Manufacturen“ (530–540), und Kapitel
XXXV, „Von Niederlagsverwandten, bürger
lichen Handelsleuten, und andern zum Negotio gehöri-
gen Künstlern und Commercial-Profeßionisten“ (540–559).
54 Ebenda, 531–546.
55 Ebenda, 532, erwähnt eine Manufaktur für bedruckte Stoffe mit einer daran gekoppelten Ausbildung
für „junge Weibspersonen“.
56 Hassmann 2015, Dok. 26. Vgl. auch Anm. 10 über die Bildungsreform der Jahre 1770. Für unser
Thema ist vor allem relevant, dass Physik, Geometrie und Naturgeschichte Pflichtfächer in den
Hochschulen wurden (1775) und dass Normalschulen für die Lehrerausbildung gegründet wurden
(1774). Von den fachspezifischen Bildungsinstituten ist v. a. die Bergakademie in Schemniz erwäh-
nenswert (1770); Vocelka 2017, 53; Kowalská 2017, 65–66.
57 Als Bezugsrahmen können die Besucherbücher des Fridericianums in Kassel dienen, die das Interesse
an Museumsbesuchen bei dieser Berufskategorie umfassend belegen; vgl. Linnebach 2014, 224–238.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur