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Die Zugänglichkeit der k. k. Hofsammlungen in Wien und das Publikum 227
geringen Leuthen, welcher ein blosser unnuzer Fürwiz antreibet, der Zutritt nicht zu
gestatten“.65 Wie sich herausstellte, finden wir ähnliche Charakterisierungen 1787 bei
Pezzl im Zusammenhang mit der Gemäldegalerie: „An den Montagen ist gewöhnlich
ein gedrängvolles Getümmel. Bürgersleute von den untern Klassen, Handwerks-
bursche, die den Blauen Montag machen, ja sogar geringe Dienstmädchen mit Kindern
auf den Armen, besuchen, um den Nachmittag angenehm zu verbringen, die Bilder-
gallerie.“ Dabei charakterisiert er überdies das Betrachtungsverhalten von diesen
„Kindern und andern ganz niedrigen Leuten“, die „nichts bessers aus der Ansicht
derselben zu schöpfen wissen, als wenn sie aus langer Weile den Gukkasten eines Savo-
yarden ansähen“.66 Und zum Schluss, zurückkehrend zum Antrag von Direktor Füger
aus dem Jahr 1813 zur Regulierung des dortigen Besucherstroms: Dieser hoffte, damit
dem Zustrom der „Tag
werker und Kellnerburschen, Wäscher- und Kuchelmenscher
mit ihren Galanen sowie die gemeinsten Weiber mit halbnackten Kinder“, kurzum der
„allergeringsten Volksclassen von der Straße […] für welche Kunst- und wissenschaft-
liche Sammlungen nicht geeignet sind“, ein Ende zu bereiten.67
Die genannten Zitate laden zu einer Stratifizierung ein. Klar ist, dass das Kriterium
für die Zulassung zu den Hofsammlungen ab 1769 nicht mehr a priori der gesellschaft-
liche Stand, sondern das (voraussicht liche) Vermögen der betreffenden Bevölkerungs-
gruppe ist, den Nutzen der Sammlungen dahingehend zu erweitern, dem allgemeinen
Wohlstand zu dienen. Dieses Kriterium wurde in unterschied
lichen Tonarten genannt
und führte zur Öffnung der Hofsammlungen für neue Besucherkategorien. Konkret
vernehmen wir jedoch kaum etwas über diese Zielgruppen und nichts von ihnen. Wir
hören ausschließlich und in groben Worten über die unerwünschten „geringen
Leuthe“. Offen bleibt dabei im Übrigen, ob einige der von den Galerie- und Kabinetts-
direktoren als „unerwünscht“ bezeichneten Besucher in Wahrheit nicht zu den von
der Politik beabsichtigten Berufsgruppen der Künstler und des Bürgertums gehörten.
Schließlich wurden keine Besucherbücher geführt, in denen man sich, wie es in Kassel
der Fall war, identifizieren musste. Dank dieser Quelle wissen wir, dass sich dort ab
ca. 1770 eine breite Palette an berufstätigen Bürgern, wie Kaufleute und Handwerker,
präsentierte.68
Das Publikum als Terminus
Eine wichtige Frage ist, welche der oben erörterten Besucherkategorien seinerzeit als
das Publikum betrachtet wurde und wer dieses Prädikat zuwies. In Bezug auf Letzteres
65 Ebenda, 72–73, Dok. 21 vom 5. Mai
1773.
66 Pezzl 1787, 3. Heft, 441–442, über die Gemäldegalerie. Möglicherweise wurde auch das Thier-
Cabinet mit seiner habitatartigen Einrichtung als für einfache Menschen und Kinder geeignet ange-
sehen, wie das Puppentheater mit seinem banalen Realismus. Zum Physikalischen und astro
nomischen
Kunst- und Natur-Thier-Cabinett vgl. Hassmann 2015, 20 und 38; Lhotsky 1941–1945, 471–473 und
495; Riedl-Dorn 1998, 57–62, und dies. 2000, 124.
67 Wien, HHStA, OKäA, Akt Nr. 686 ex 1813; zit. nach Lhotsky 1941−1945, 488.
68 Linnenbach 2014, 224–238.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur