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232 Eva Kernbauer
que discuter” („Der Schöpfergeist bringt lieber hervor, als zu diskutieren“).5 Der auf-
klärerische Bezugsrahmen für die bildende Kunst, der „science magique de la
peinture“,6 der Wissenschaft also, die verborgenen Regeln zu gehorchen schien, war
schwierig zu fassen. Dabei bestanden verschiedene Denkmodelle über längere Zeit
nebeneinander: auf Rationalität basierende, an Bildthemen und -inhalten orientierte
Vorstellungen von Kunstgenuss sowie Konzepte wie dasjenige der „sinn lichen
Erkenntnis“ (cognitio sensitiva), wie es Alexander Gottlieb Baumgarten 1750 entwi-
ckelt hatte. Dies belegt nicht nur die zuweilen gespalten anmutende Identität Denis
Diderots, der sich in seinen Kritiken je nach Situation und Bedarf bald in einen sinn-
lich mit dem Kunstwerk verschmelzenden, bald in einen rein verstandesorientiert
urteilenden Kunstrezipienten verwandelte. Karl Philipp Moritz’ Zuordnung der
Kunst zu einer Welt, die rationaler Erkenntnis verschlossen bleibt,7 fand ebenso
Anhänger wie Johann Georg Sulzers traditionellere, an den deutschsprachigen Kunst-
akademien vermittelte Haltung, der „wichtigste Dienst, den die schönen Künste den
Menschen leisten können, besteht ohne Zweifel darin, daß sie wolgeordnete herr-
schende Neigungen, die den sitt lichen Charakter des Menschen und seinen morali-
schen Werth bestimmen, einpflanzen können“.8
Wie weit beeinflussten diese Kontroversen die gesellschaft
liche Rolle und das
Selbstbild von Künstler/innen? Deren Anteil an der aufklärerischen Rolle der Kunst
wurde in der Regel eher gering eingeschätzt: Die Kunst, nicht die Künstler erleuchte-
ten. Auch unter geneigten Beobachter/innen fanden sich nur wenige, die die Ansicht
vertreten hätten, dass Künstler als Wissenschaftler oder als Gelehrte gelten dürften.
Immerhin wurde zuweilen, etwa mit Hinweis auf Leonardo da Vinci, das Zugeständ-
nis geäußert, „qu’il n’est pas impossible à un Peintre d’être savant“ („dass es nicht
ausgeschlossen ist, dass ein Maler ein Gelehrter ist“)9. Die Frage nach der Sinnhaftig-
keit „gelehrter“, also theoretischer Bildung für Künstler wurde strittig diskutiert, auch
wenn an den Akademien deren Rolle zunehmend aufgewertet wurde. Dies war auch in
Wien nicht anders: In einer Rede anlässlich der Gründung der Wiener Kupferstecher-
akademie 1768 bot der Sekretär Joseph von Sonnenfels den Kunstpraktizierenden
einen Bund mit den schönen Wissenschaften an und unterstrich so die Bedeutung der
kunsttheoretischen Fundierung künstlerischer Praxis.10 Und auch der Umgang mit
Kritik musste erst geübt werden: Anlässlich der Verleihung von Preisen an die besten
Studierendenarbeiten 1771 betonte er im Vortrag Von der Urbanität der Künstler die
Bedeutung des Wettbewerbs und die durch die soziale Einbindung der Künste
5 Alembert 1751, xvi (Übersetzung der Autorin).
6 Observations sur l’exposition de peintures, sculptures et gravures du Salon du Louvre, tirées de
l’Observateur littéraire, 1759, 834 – 837, zit. nach: Paris, BnF, Collection Deloynes (Collection de
pièces sur les Beaux-arts imprimées et manuscrites), Bd. 44, Dok. 1259, unpaginiert.
7 Moritz 1788.
8 Sulzer 1771, 314.
9 Caylus 1759, 198 (Übersetzung der Autorin).
10 Sonnenfels 1786a.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Titel
- Schöne Wissenschaften
- Untertitel
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Autor
- Nora Fischer
- Herausgeber
- Anna Mader-Kratky
- Verlag
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Abmessungen
- 20.9 x 29.3 cm
- Seiten
- 306
- Kategorie
- Kunst und Kultur