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Einleitung ‒ Antagonismus, Versöhnung, Gleichgültigkeit?
den Ereignisse aus italienischer Sicht gilt, zeugt von der Unzulänglichkeit
späterer Studien22.
Die Auseinandersetzung zwischen Ritschel und Toscano betraf unter ande-
rem die Zuweisung der Verantwortung für die sogenannte Option: Ritschel
meinte, die italienische Regierung hätte die Massenumsiedlung der Südtiro-
ler vorgeschlagen. Toscano behauptete dagegen, es sei ein Plan der Deutschen
gewesen. Dieser vehemente Disput weckte das Interesse Alexander Langers,
der den Band rezensierte und dabei feststellte, wie sehr beide Autoren vor
allem die eigene Nation von jeder Verantwortung freisprechen wollten. Dass
aber die jeweilige Nation vom Faschismus beziehungsweise vom Nationalso-
zialismus vertreten war, vergaßen sie in ihrer Analyse zu erwähnen23. Wieder
einmal wurde das Verteidigen des eigenen Staates über die eigentliche Auf-
gabe des Historikers gestellt.
In diesem Geflecht zwischen Aufarbeitung der Geschichte, nationalen
Interessen und diplomatischen Streitigkeiten kam es manchmal zu Engpäs-
sen und zu einer Überschneidung von Rollen und Funktionen, was wiede-
rum keine Verbesserung hinsichtlich des „historiografischen“ Austauschs
zwischen beiden Ländern mit sich brachte. Ein gutes Beispiel ist Mario
Toscano, der zu den Hauptakteuren der österreichisch-italienischen Ver-
handlungen zählte. Er war einer der berühmtesten Historiker Italiens, dessen
Forschungsschwerpunkt auf den internationalen Beziehungen im 20. Jahr-
hundert lag und hatte eine der am meisten zitierten Studien über den Süd-
tirol-Streit verfasst. Für das italienische Außenministerium bereitete Toscano
einige Dossiers über die jüngste Geschichte Südtirols und über den diploma-
tischen Streitfall vor. Im Herbst 1960 reiste er als Mitglied der italienischen
Delegation zu den Vereinten Nationen nach New York, wo auf Antrag Öster-
reichs eine Debatte über die Südtirolfrage stattfand. In den Folgejahren nahm
er direkt an den bilateralen Verhandlungen teil24. Er war aber nicht der Einzi-
ge. Viktoria Stadlmayer ist in dieser Hinsicht ebenfalls zu nennen. Lange Zeit
war sie zuständig für das Südtirol-Referat („Referat S“) der Tiroler Landes-
regierung und verfasste zahlreiche historische Arbeiten über die Ereignis-
22 Monzali, Mario Toscano 214.
23 Alexander Langer, Rezension zu Mario Toscanos Buch, in: Schlern 43/4 (1969) 181 ff.,
hier 182.
24 Monzali, Mario Toscano 152 ff.
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Titel
- Die schwierige Versöhnung
- Untertitel
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Autoren
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Herausgeber
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Verlag
- Bozen-Bolzano University Press
- Ort
- Bozen
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Abmessungen
- 16.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918