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Einleitung ‒ Antagonismus, Versöhnung, Gleichgültigkeit?
rol eine Einheit gebildet habe“33. Darüber hinaus habe Lill Benedetto Croces
Auslegung des Faschismus als „Parenthese“ auf Südtirol übertragen. So ge-
sehen war das Gruber-De Gasperi-Abkommen vom 5. September 1946 nicht
das Ergebnis der Sondersituation, die sich am Ende des Zweiten Weltkrieges
nach 20 Jahren Faschismus herauskristallisierte, sondern vielmehr der un-
umgängliche Ausgang eines Kurses, der bereits 1919 eingeschlagen worden
war und vom faschistischen Regime missbräuchlich unterbrochen wurde34.
Zurückblickend auf diese Kontroverse ist die tiefe Spaltung zwischen die-
sen renommierten Historikern bemerkenswert. Diese hatten nämlich ihr Ziel
verfehlt: Zum Schluss kooperierten sie nicht und die üblichen Kontraste im
geschichtswissenschaftlichen Kontext blieben erhalten.
Abgesehen vom neuen internationalen politischen Klima trug auch
eine Entwicklung innerhalb der Historiografie selbst dazu bei, die Diskus-
sion zwischen österreichischen und italienischen Historikern zu fördern
und alte Muster zu durchbrechen. Lange drehte sich die Analyse der Bezie-
hungen zwischen Italien und Österreich um die nationale Frage beziehungs-
weise um den langsamen italienischen Vereinigungsprozess, der gegen die
Präsenz Österreichs in Italien gerichtet war. Vor diesem Hintergrund wurde
der Staat Österreich als „historischer Feind“ angesehen und darüber hinaus
als Völkerkerker, wo grundlegende Freiheiten und nationale Bestrebungen
unmöglich waren und die Repression überwog. Jahrelang dominierte eine
Metternich’sche Perspektive, die die österreichische Politik überwiegend im
überwachenden, repressiven und hinterlistigen Sinne interpretierte35. Diese
Auffassung wurde über die Epoche Metternichs hinaus auf das 17. Jahrhun-
dert und auf die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg ausgedehnt. Die Unterdrü-
ckung der Nationalitäten erschien somit als Hauptmerkmal des österreichi-
33 Corsini, Lill, Südtirol 10.
34 „Der Vertrag bestätigt nach dem Zweiten Weltkrieg bemerkenswerterweise jene Lö-
sung der territorialen Frage, wie sie bereits am Ende des Ersten Weltkrieges angewandt wor-
den ist: Geschichtliche Logik und historiographische Periodisierung bestimmen dabei den
Vertrag als notwendigen Zielpunkt.“ Corsini, Lill, Südtirol 8. Zu Corsinis Interpretation des
Gruber-De Gasperi-Abkommens und zur österreichisch-italienischen Gegenüberstellung im
historiografischen Bereich rund um dieses Thema siehe Andrea Di Michele, Das Gruber-De
Gasperi-Abkommen aus der Sicht der italienischen Politik, in: 70 Jahre Pariser Vertrag, hrsg.
von Walter Obwexer, Eva Pfanzelter (Wien 2017) 97–103.
35 Marco Meriggi, Introduzione, in: Mazohl-Wallnig, Meriggi, Österreichisches Italien
13 ff.
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Titel
- Die schwierige Versöhnung
- Untertitel
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Autoren
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Herausgeber
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Verlag
- Bozen-Bolzano University Press
- Ort
- Bozen
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Abmessungen
- 16.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918