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Andrea Di Michele
schen Habsburgerreiches. So wurde die äußerst komplexe Geschichte der
unter österreichischer Herrschaft stehenden italienischen Gebiete lediglich
als ein ewiger Kampf im Zeichen der Nationalitäten gesehen.
Ab den Achtzigerjahren verbreiteten sich jedoch neue Geschichtsdeu-
tungen, die den Fokus vom Thema der Nationalstaatsbildung auf weiterrei-
chende Aspekte verlegten. Es galt nicht so sehr politische Themen, sondern
hingegen strukturelle, administrative und legislative Gesichtspunkte auszu-
loten. Dank dieser neuen und vielfältigen Erklärungsversuche sah man das
Habsburgerreich und dessen Geschichte endlich nicht mehr durch die Bril-
le der nationalen Auseinandersetzungen: Im Mittelpunkt standen nun auch
positive Aspekte, wie die Hinterlassenschaft, die Kontinuität und das Erbe
des Habsburgerreichs. Die Metternich’sche wurde durch die maria-theresia-
nische Betrachtungsweise ersetzt: Wirtschaftliche und kulturelle Entwick-
lungen, aufgeklärter Reformismus und gute Verwaltung kam nun ein grö-
ßerer Stellenwert zu. Durch die Schwerpunktverlagerung von der Bildung
des Nationalstaates auf das viel komplexere und zukunftsorientierte Thema
des Wandels aus sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Sicht, ist die His-
toriografie der unter dem Habsburgerreich stehenden italienischsprachigen
Gebiete mehr als nur eine des Risorgimento geworden. In dieser Hinsicht
änderte sich auch die Wahrnehmung der österreichischen Politik, die nicht
mehr nur als repressiv galt. Österreich habe nämlich auch die Grundlagen
für ein ausgeklügeltes administratives und wirtschaftliches System gelegt. In
dieser Hinsicht kann behauptet werden, die Geschichtswissenschaft sei der
Literatur und der Literaturgeschichte gefolgt, da vor allem die bahnbrechen-
de Arbeit von Claudio Magris über den Habsburgermythos ab den Sechziger-
jahren neue Anknüpfungspunkte bot36.
Die Habsburgergeschichte wird nicht nur in der historischen Wissen-
schaft neu bewertet, sondern auch in anderen Bereichen, vor allem in der
Politik und der öffentlichen Kommunikation. Von Trient bis Triest sind der
Mythos von Italia Felix unter österreichischer Herrschaft und die unkriti-
sche Nostalgie nach einer idealisierten und oft allzu wenig bekannten Ver-
gangenheit in der Geschichte tief verwurzelt. Diese Geschichte, die gänzlich
36 Claudio Magris, Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur (Salz-
burg 1966); Angelo Ara, Claudio Magris, Triest. Eine literarische Hauptstadt in Mitteleuropa
(München 1987); Claudio Magris, Donau. Biographie eines Flusses (München 1988).
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Titel
- Die schwierige Versöhnung
- Untertitel
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Autoren
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Herausgeber
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Verlag
- Bozen-Bolzano University Press
- Ort
- Bozen
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Abmessungen
- 16.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918