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Maddalena Guiotto
fraktion war, hatte De Gasperi in der Folge allerdings nur selten die Möglich-
keit, in den Plenardebatten zu sprechen. Im Verlauf der 204 Plenarsitzungen
der XXI. Session konnte er nur zwei Reden halten. Das erste Mal am 13. Ok-
tober 1911 im Zuge der Debatte über den beträchtlichen Preisanstieg bei den
Lebensmitteln – in einem Parlament, das die Regierung zusammengerufen
hatte, um die Genehmigung für das provisorische Budget zu erhalten62. Das
zweite Mal ergriff er am 25. desselben Monats das Wort, als er in italienischer
Sprache eine Rede zur Verteidigung der Errichtung einer rechtswissenschaft-
lichen Fakultät in Wien hielt:
Ich stelle fest, daß gerade vom österreichischen Standpunkte aus die Fakultät
eine Notwendigkeit, ein kategorischer Imperativ geworden ist.[…] Man hat
gesagt, die Fakultät wird der Heranbildung der irredentistischen Intelligenz
dienen. Im Gegenteil, meine Herren, nicht die Fakultät, sondern die Fakultäts-
frage schafft und verschärft die Erbitterung in unserer Jugend. […] Will man
aber damit vielleicht sagen, daß die Fakultät nur die Kadettenschule unserer
Bourgeoisie sein wird, so liegt auch dieser Behauptung eine krasse Unkenn-
tnis unserer Verhältnisse zugrunde. […] Die Fakultät dagegen soll auch den
Bauernsöhnen die Möglichkeit bieten, billig und bequem in der eigenen Hei-
mat zu studieren. Wer also gegen die Fakultät ist, ist nicht gegen die sogenan-
nte Irredenta, sondern sündigt an den Söhnen eines Volkes, welches nach dem
bekannten Ausspruche unseres Kaisers selbst […] österreichischer gesinnt ist
als man glauben konnte.
Er unterschied klar zwischen einem Irredentismus als Korollarium des natio-
nalistischen Prinzips, welches nur einheitlich nationalgebildete Staaten annimmt,
und dem ganz anderen Gefühl der geistigen Kulturgemeinschaft mit unserer ita-
lienischen Nation, die Begeisterung für unsere Geschichte und für unser Volkstum
erklärte. Dieses könnte auch im institutionellen Rahmen des Habsburger-
reiches vertreten werden, das seine verschiedenen nationalen Komponenten
anerkannte63.
62 Die Rede zur Preissteigerung in: StPAH, XXI Session, 24. Sitzung 918 ff.; auch auf Ita-
lienisch in: De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. I/2 1879–1888.
63 Die Rede in: StPHA, XXI Session, 20. Sitzung 1171–1173; auch auf Italienisch in: De
Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. I/2 1888–1899, hier: 1889–1890 und 1895–1896.
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Titel
- Die schwierige Versöhnung
- Untertitel
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Autoren
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Herausgeber
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Verlag
- Bozen-Bolzano University Press
- Ort
- Bozen
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Abmessungen
- 16.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918