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Alcide De Gasperi und die österreichische Politik vom Reich bis zum „Anschluss“
Ein Jahr später, am 8. Oktober 1912, kam De Gasperi in einer Rede vor der
Delegation des Reichsrats (am 14. Dezember 1911 war er zusammen mit Otto
von Guggenberg als Vertreter Tirols gewählt worden) wieder auf die ita-
lienische Universitätsfrage zurück. Dieser Beitrag bezog sich auf die Inter-
aktion zwischen österreichischer Innen- und Außenpolitik und betonte die
negative Auswirkung der Verschlechterung der Beziehungen zwischen der
italienischen Bevölkerung und den österreichischen Behörden im Trentino
in Bezug auf die italienisch-österreichischen Beziehungen im Rahmen des
Dreibunds. De Gasperi prangerte die zunehmenden und sich zuspitzenden
Germanisierungsversuche im Trentino durch den Tiroler Volksbund an. Er
hob hervor, dass in der letzten Zeit – seitdem die österreichischen Italiener
begonnen hatten, sich gegen die Bestrebungen des Tiroler Volksbundes auf-
zulehnen – die österreichische Presse und Essayistik ein Bild Südtirols als
einer vom Irredentismus verseuchten Region verbreiteten und dass sich die
Kontrollen der österreichischen Behörden verschärft hatten. Aber nicht mit
Polizeimaßnahmen könne man die irredentistische Bewegung bekämpfen, so
De Gasperi in seiner Rede, sondern, indem man die österreichischen Italiener
überzeuge, dass sie mit Österreich ein wohnliches Heim besäßen, wo sie ihren
wirtschaftlichen Bedürfnissen nachkommen und ihre Nationalität, Sprache
und Kultur erfolgreich schützen und aufrechterhalten könnten. Zu diesem
Zwecke sei es wünschenswert, dass die österreichische Regierung versuche,
zumindest ein paar ihrer Forderungen zu erfüllen, darunter jene hinsichtlich
einer italienischen Universität64. De Gasperi verteidigte somit die nationalen
italienischen Rechte der Einwohner des Trentino, unterstützte jedoch nicht
die irredentistische Forderung nach einer Annexion an das Königreich Ita-
lien, das er – wie man bereits zu anderen Gelegenheiten erkennen konnte65 –
64 Rede von De Gasperi vor der Delegation des Reichsrates, in: Stenographische Sitzungs-
protokolle der Delegation des Reichsrates (Wien 1868–1918 ), XLVI Session, 9. Sitzung 334–
337; auch auf Italienisch in: De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. I/2 1903–1914.
65 Siehe insbesondere ein Gespräch zwischen De Gasperi und Friedrich Funder, Chef-
redakteur der „Reichspost“, das vor dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg stattfand,
als Stimmen über eine mögliche Abtretung des Trentino an Italien im Tausch gegen die ita-
lienische Neutralität laut geworden waren. Siehe dazu ausführlicher: Guiotto, Un giovane
leader politico 113 f.; Dies., Die italienischen politischen Parteien Österreich-Ungarns und
ihre Stellung zum Ersten Weltkrieg, in: Parteien und Gesellschaft im Ersten Weltkrieg. Das
Beispiel Österreich-Ungarn, hrsg. von Maria Mesner, Robert Kriechbaumer, Michaela Mai-
er, Helmut Wohnout (Wien–Köln–Weimar 2014) 107–128, hier: 116 f.
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Titel
- Die schwierige Versöhnung
- Untertitel
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Autoren
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Herausgeber
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Verlag
- Bozen-Bolzano University Press
- Ort
- Bozen
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Abmessungen
- 16.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 616
- Schlagwörter
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918