Seite - 40 - in Spital als Lebensform - Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Bild der Seite - 40 -
Text der Seite - 40 -
40 Das Ordnungsgeflecht in österreichischen Spitälern in der Frühen Neuzeit
diensteten „instruktiv“84 und mussten daher auch regelmäßig vor den Insassen verlesen/
publiziert werden bzw. wurden auch in Kurzform ausgehängt85 – wobei beim Aushang vor
allem die alle Insassen betreffenden Punkte im Vordergrund standen86. Vielfach scheinen
die Ordnungen, obwohl sie an operativer Qualität durch ihre mitunter lange Geltungs-
dauer (etwa fünfzig Jahre und mehr) verloren hatten, aus Traditionsbewusstsein und als
Symbol weltlicher und sakraler Herrschaft (im Gegensatz zum Chaos)87 in Kraft geblie-
ben zu sein.
3. Spitalordnungen als Problem der Spitalforschung
Eine konzeptionell interessierte Spitalgeschichte der Vormoderne kommt ohne die Be-
handlung der Spitalordnungen, gemäß der Spitalhistorikerin Christina Vanja „stets ein
zentrales Moment des Hospitallebens“, nicht aus, weil in dieser essentiellen, normativen
Quellengattung der „Hospitalalltag für Insassen und Personal“ verpflichtend festgeschrie-
ben wurde. Weiters enthielten Spitalordnungen „Dienstanweisungen für Beschäftigte,
legte[n] (Rechnungs-)Prüfverfahren fest, bestimmt[en] Strafen sowohl für die Insassen
als auch für das Personal bei Verstößen gegen die Ordnung“88. Vor allem für mittelalter-
liche Häuser sind Spitalordnungen neben den Gründungsurkunden, Kalendarien89 und
Streufunden (darunter auch archäologische Relikte) mitunter die einzigen Textzeugen für
die Existenz von Spitälern (im weitesten Wortsinn)90. Bestimmend für die Forschungslage
zu Spitalordnungen blieben lange Zeit die Rechtshistoriker; so legt der in Königsberg,
Marburg und später Heidelberg lehrende Kirchenrechtler wie Rechtshistoriker (und Sohn
des Nürnberger Stadtarchivars) Siegfried Reicke (1897–1972) in seinem grundlegenden
Werk zum „Spital und sein[em] Recht“ fest, dass die spätmittelalterlichen und frühneu-
zeitlichen Stadträte für die Bürgerspitäler sowohl Statuten als auch Ordnungen („Gesamt-
regelungen“) erließen. Diese auf das einzelne Spital und deren internen Betrieb zielenden,
normativen, meist auch religiöse Bestimmungen einschließenden Texte „durchdrangen
nicht nur den äusseren Aufbau, die Ämterordnung und die Abgrenzung des Tätigkeitsfel-
des der einzelnen Amtsträger, vielmehr erfassten sie auch – meist bis ins einzelnste – die
Regelung des inneren Lebens der Spitalinsassen und sonstige Angelegenheiten aller Art“91.
Der Kirchenrechtler Reicke erkannte (neben der „Seelenverwandtschaft“92 der Spitäler
zu klösterlichen Einrichtungen) schon, dass neben den Gesamtordnungen auch die „Spi-
talerrichtungsurkunde“ und die Einzelerlässe, die ergänzend zu den Spitalordnungen gele-
84 Scheutz–Weiss, Spitalordnung 299–349; hier Edition Nr. 1, 8, 10, S. 385–389, 434–451, 460–485.
85 Ebd. 347 (Abb.). Zur Hausordnung des Spitals in Knittelfeld (1828), Edition Nr. 65, S. 688–691,
die regelmäßig verlesen werden musste, Gröchenig, Knittelfeld 95–99.
86 Als Vergleichsbeispiel die Stadtordnung von Grieskirchen von 1623, welche Instruktionen für die
städtischen Amtsträger seriell inseriert, Oberösterreichische Weistümer 3 45–106 [1623 April 16].
87 Sieglerschmidt, Ordnung Sp. 479.
88 Vanja, Offene Fragen 30; Crabus, Fürsorge und Herrschaft 199–207.
89 Als Beispiel die Auswertung des Kalendariums des Heilig-Geist-Spitals in Nürnberg (14./15. Jahr-
hundert) Knefelkamp, „Oratio“ 111f.; als Beispiel Schneider, Die Hospitäler im Raum Alt-Tirol 96.
90 Behrens, Zum Stifterwillen 282.
91 Reicke, Das deutsche Spital II 60. Reicke erwähnt in seiner Darstellung, die sich ausschließlich auf
gedrucktes Material stützt, explizit die Spitalordnung für das Freiburger Heilig-Geist-Spital von 1318, siehe die
Edition nun bei Bock–Widmann, Freiburg 269f.
92 Reicke, Das deutsche Spital I 3.
Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Spital als Lebensform
- Untertitel
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorie
- Medizin