Seite - 77 - in Spital als Lebensform - Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
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6. Zur vorliegenden Edition 77
ser, dem Ave Maria, der Lauretanischen Litanei kam dem Rosenkranz als gereimter, sich
wiederholender Gebetsform große tagesstrukturierende Bedeutung zu. Manche Spitäler
schrieben als Dank (gegenüber Gott und den Spitalstiftern) jeden Tag einen Rosenkranz
vor419. Die Gebetsleistungen waren aber von Spital zu Spital different. Die Esterházys-
chen Herrschaftsspitäler sahen beispielsweise jeden Tag drei Rosenkränze vor: Der erste
Rosenkranz am Morgen war für den Spitalgründer Paul Esterházy zu sprechen, der zweite
am Nachmittag für die Familie Esterházy und der dritte am Abend für die Armen Seelen
im Fegefeuer420. Damit hatten die Insassen der Esterházyschen Spitäler aber noch lange
nicht genug gebetet: In der Früh mussten für den Pestpatron Sebastian fünf Vater Unser
und fünf Ave Maria; zu den Glockenzeichen in der Früh, zu Mittag und am Abend der
Englische Gruß absolviert werden – die täglichen Messen fielen angesichts der Gebetslast
dann „fast“ schon nicht mehr ins Gewicht421. Vor und nach den Mahlzeiten sprachen die
Insassen dann noch Dankgebete: wann sye mittag und nacht essen wöllen, ir andechtig ge-
beth zum benedicite und nach dem essen zur dankhung der empfangnen wolthatten das gratias
sprächen422. Während des Essens gab es nach klösterlicher Tradition eine Tischlesung, so
erfreute ein lesekundiger Pfründner in Mühldorf/Inn 1667 seine Mitbewohner mit dem
1556 publizierten kleinen Katechismus von Petrus Canisius (1521–1597)423.
Neben den unterschiedlichen Gebeten kam vor allem dem Messbesuch424 größte Be-
deutung zu, paarweise sollte in geordnetem Zug die Kirche besucht werden425. Die Spi-
talinsassen hatten alle tag einer Messe (täglich dem opffer der heiligen mesß 426) beizuwoh-
nen, die Predigten an den Sonn- und Feiertagen zu besuchen und wenigsten alle monath
einmal deren hochheiligen sacramenten der beicht und communion gebrauchen und Gott stetts
vor augen haben, auch an seine barmherzigkeit hoffen427. Regionale kirchliche Besonderhei-
ten und Spezifika der regionalen Frömmigkeitskulturen fanden in den Spitalordnungen
Eingang. Im St. Pöltner Bürgerspital war alle Freytag in der spittall kirchen bey ausezung des
heiligen creuz particul eine heilige mesß und nun solche wie auch die nachmittagig geistliche
lesung von den Spitalinsassen zu besuchen428. Neben die täglichen Messen traten die ge-
stifteten Jahrtagsmessen und die monatlichen Seelenmessen für die Verstorbenen429 – bei
Begräbnissen von Spitalinsassen hatten alle Spitalbewohner an den Exequien teilzuneh-
men430. Wichtig war auch das regelmäßige Beichten als Vergebung der Sünden und die
anschließende Kommunion. Ostern431 als Fest der Rückkehr der Sünder erwies sich als
wichtiger Beichttermin, aber auch Pfingsten, Mariahimmelfahrt, Allerheiligen und Weih-
nachten432. Diese vier Beicht- und Kommunionstermine konnten in manchen Spitalord-
419 Edition Nr. 28, 1, S. 557.
420 Edition Nr. 192, 2, S. 1066.
421 Edition Nr. 192, 3–5, S. 1066f.
422 Edition Nr. 27, 5, S. 555.
423 Edition Nr. 28, 4, S. 557.
424 Zum katholischen „Sakralpomp“ am Beispiel der Messe Hersche, Muße und Verschwendung 1
580–587.
425 Edition Nr. 144, 3, S. 933.
426 Edition Nr. 28, 5, S. 557f.
427 Edition Nr. 127, 2, S. 888.
428 Edition 127, 4, S. 888.
429 Edition Nr. 90, 3, S. 755–757.
430 Edition Nr. 38, 2, S. 593.
431 Edition Nr. 27, 7, S. 555f.
432 Edition Nr. 28, 6, S. 558.
Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Spital als Lebensform
- Untertitel
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorie
- Medizin