Seite - 118 - in Spital als Lebensform - Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
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mes erinnert noch gegenwärtig daran, dass das Bürgerspital unter Fürsterzbischof Franz
Anton Graf Harrach errichtet wurde23. Die Spitalkirche musste hingegen bereits im Jahr
1860 aufgrund von Absenkung abgetragen werden24.
Obwohl das Mühldorfer Bürgerspital nie eine sehr hohe Insassenzahl verzeichnen
konnte – im Jahr 1796 wohnten nur mehr acht Personen im Haus25 –, sahen sich die
Frauen und Männer, die sich beim Stadtrat um eine Pfründe bemühten, innerhalb der
Anstalt mit einer „Mehrklassengesellschaft“ konfrontiert26. War ein/e Bewerber/in als
„spitalswürdig“ befunden worden, wozu auch die Einbettung in ein bürgerliches Umfeld
mit den damit verbundenen gesellschaftlichen Werten wesentlich beitrug, dann musste
die jeweilige Person noch die Einkaufssumme erlegen. Ende des 16. Jahrhunderts betrug
diese für die obere Pfründe 80 fl., für die untere Pfründe hingegen 60 fl. Die Geldbeträge
für nicht-salzburgische Untertanen fielen noch wesentlich höher aus und konnten sich
im Einzelfall auf mehr als 200 fl. belaufen. Wem es allerdings nicht gelang, das geforderte
Geld aufzubringen, der durfte beim Stadtrat um einen Nachlass ansuchen, musste jedoch
in diesem Fall verpflichtend Arbeiten im Haushalt oder in der Landwirtschaft überneh-
men. Wie bereits aus der Haus- und Speiseordnung des Jahres 1667 ersichtlich ist27, ge-
nossen nur die beiden Oberpfründner Kalbfleisch und generell größere Fleischportionen
und zusätzlich konnten sie über eigene Stübchen verfügen. Sofern die Oberpfründner
genügend Geld hatten, war es ihnen auch erlaubt, Dienstpersonal in das Hospital mit-
zunehmen. Die ärmeren Pfründner – üblicherweise die Mehrzahl – hatten sich in der
„Gemainstube“ aufzuhalten und sich die Wohn- und Schlafstuben zu teilen, wodurch
Konflikte vorprogrammiert waren. Die Unterpfründner mussten außerdem die Gerüche
aus der separaten Krankenstube ertragen28.
Konfliktpotential barg auch ein Skandal der 1790er Jahre in sich, der dem Lederer-
meister, Bürgermeister und Spitalverwalter Johann Kasper Untertrifallner angelastet
wurde. Erst nach dem Tod des selbstherrlich und diktatorisch agierenden Lederermeister,
der sich vornehmlich um seinen schwunghaften Lederhandel gekümmert hatte, konnte
die Konsistorialbuchhaltung im Juni 1796 feststellen, dass Trifallner weder von der Land-
wirtschaft, noch von der Rechnungslegung eine entsprechende Kenntnis besessen hatte.
Auskünfte über die Haushaltsführung mussten seine Ehefrau und der Hausmeister ertei-
len, um die Dienstbotenfrage hatte er sich nie gekümmert und die Häute des geschlach-
teten Viehs behielt er zu geringem Preis für seine eigenen Zwecke. Schmalz und Geflügel
wurden nicht in den Rechnungen geführt, ein hospitaleigenes Haus hatte er ohne ent-
sprechende Bewilligung an seine Schwester verkauft. Der Gesamtschaden dürfte immer-
hin ein Ausmaß von 4.000–5.000 fl. erreicht haben. Da es nicht gelang, Trifallner wäh-
rend seiner Amtszeit zur Auflösung der Landwirtschaft und der Naturalverpflegung im
23 Hamberger, Heiliggeistspital 17–19; Gollwitzer, Heiliggeistspital 96–98.
24 Gollwitzer, Heiliggeistspital 114–116; Angermeier, Mühldorf 110f.; Aicher, Innstadt Mühl-
dorf 265.
25 Hübner, Beschreibung I 45.
26 Dazu allgemein: Weiss, Almosen 110.
27 AES, 11/77, Inventare, Rechnungen, Ein- und Ausgaben in den Jahren 1665–1672, Haus- und
Speiseordnung für die Ober- und Unterpfründner im Heiligen-Geist-Spital in Mühldorf am Inn 1667, fol.
726r–729v.
28 Hamberger, Heiliggeistspital 32–35; Veits-Falk, Armenfürsorge 74; Weiss, Unglück 211;
Scheutz–Weiss, Spitäler 208; Angermeier, Mühldorf 53; AES, 11/77, Generalvisitationen 1671, 1672,
1673, Visitatio ecclesiae et hospitalis s. spiritus in civitate Mildorff facta, 1673 Juli 28, fol. 640v.
Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Spital als Lebensform
- Untertitel
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorie
- Medizin