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VI.6 Steiermark: Graz – Armenhaus, Bürgerspital, Lazarett
(Kommentar Nr. 55–63)
Kaiser Joseph II. ließ auch in Graz die Grundidee verwirklichen, die Fürsorge von der
Krankenpflege zu trennen, zu rationalisieren und zu zentralisieren. Aus diesem Grund
mussten das Bürgerspital, das Hofspital und das Elisabethspital (Kleines Lazarett) ihren
Betrieb einstellen1. Die beherbergten Armen hatten Ende Juli 1787 das Bürgerspital zu
räumen und sollten künftig mit dem bisherigen Wochengeld in der Höhe von 45 xr.
ihr Auskommen finden. In die adaptierten Räumlichkeiten zogen die Erziehungsknaben
des Baaden-Durlach-Regiments ein. Nach dem Tod des Herrschers richteten die Bürger
durch den späteren Spitalsverwalter Franz Haas an Kaiser Leopold II. am 6. Juni 1790
ein Gesuch, in welchem die Situation der Betroffenen realistisch geschildert wurde: „Es
war traurig zu sehen, wie ao. 1787 diese armen, alte[n], müheselige[n] Bürgersleute ihr
Stiftungshaus, worin sie schon so lange in schönster Ordnung, friedlich, ruhig und aufer-
baulich gelebt haben, so traurig verlassen und wie Fremdlinge sich erst eine Herberge auf-
suchen mussten, ohne zu wissen, wer für sie Zinss, Holz, Kleidung und Medizin, welch
alles sie in diesem Hause durch die von ihren Mitbürgern zusammengetragene Stifftung
unentgeltlich genossen haben, bezahlen würde, indem ganz offenbahr ist, dass sich dieses
bey diesen betrübten theuren Zeiten von der kleinen Einnahme wochentlich 45 kr. nicht
bestreitten lässt und leider haben die Bürger für all dieses bis anhero kein Heller Beitrag
erhalten, ja was noch trauriger ist, wird denen in das Armenhaus abgegebenen Pfründ-
nern seit einigen Wochen täglich 2 kr. somit wöchentlich 14 kr. für Holz, Zins und Me-
dizin von ihren 45 kr. abgezogen und zurück behalten“2. Am 5. Juli 1791 wurde dem
Gesuch stattgegeben, der Magistrat durfte das Spital für die Bürgerschaft übernehmen,
musste jedoch vom Fondsvermögen stattliche 25.000 fl. an die allgemeinen Versorgungs-
anstalten abliefern. Die Oberaufsicht über das Bürgerspital wurde der Landesstelle, also
der Stiftungsbehörde, zugewiesen, außerdem hatte der Magistrat für die Renovierung des
Gebäudes Sorge zu tragen. Die im Jahr 1789 geschlossene Heiligen-Geist-Kirche konnte
1793 wieder eröffnet werden3.
Die Stadt Graz wies – wenig überraschend – innerhalb des Herzogtums Steiermark
die größte Dichte an Fürsorgeanstalten auf. Um 1750 zählte Graz etwa 20.000 Bewoh-
ner/innen, von denen im Jahr 1754 60 im Bürgerspital und 220 im Waisenhaus lebten,
um nur die größten Anstalten zu benennen, sowie ca. 550 Personen vom Armenhaus
betreut wurden (viele wohnten auch außerhalb der Institution)4. Im Jahr 1782 hingegen
siedelten annähernd 29.300 Frauen, Männer und Kinder im damaligen Stadtgebiet5 und
758 Personen (2,7 %) konnten anstaltsintern oder extern versorgt werden (das Arbeits-
und Zuchthaus ist in dieser Auflistung nicht inkludiert)6.
Als älteste städtische Einrichtung gilt das bereits erwähnte Spital zum Heiligen Geist
(Bürgerspital, Dominikanergasse 8), das vermutlich bereits im 13. Jahrhundert errichtet
1 Steiner–Wutschnig, Bürgerspital 33; Huber-Reismann, Krankheit 299.
2 Zit. nach Seidl, Bürgerspital zum Heiligen Geist 40f.
3 Huber-Reismann, Krankheit 338f.; Seidl, Bürgerspital zum Heiligen Geist 42; Bericht 1852 140.
4 Hammer-Luza, Publico 204; Valentinitsch, Armenfürsorge 98, 112; Huber-Reismann, Krank-
heit 338.
5 Wiesflecker, Bevölkerungsentwicklung 319.
6 Uebersicht 75–77.
Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Spital als Lebensform
- Untertitel
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorie
- Medizin