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VI.10 Steiermark: Ligist – Herrschaftsspital (Kommentar Nr. 68) 203
verbrachte bereits ein Jahr lang aufgrund von Krankheit im Bett6. Für die medizinische
Betreuung sorgte der örtliche Bader, der neben Schwitzpulver, Magentropfen, Mixturen,
Rauchtee und Brechmittel auch Fieberessenzen lieferte7. Das Haus wurde baulich von
der Herrschaft unterhalten und die Frauen hatten scheinbar über keine Missstände zu kla-
gen. Soweit ihre geringen Körperkräfte noch ausreichten, mussten die Bewohnerinnen des
„vormodernen Altenheims“ leichtere Arbeiten verrichten, so z. B. die Pfarrkirche und den
Chor auskehren. Diese Beschäftigung sollte vor allem der Bekämpfung des Müßiggangs
dienen. Die Arbeit der Frauen dürfte sich aber vornehmlich im Gebet erschöpft haben,
da nur Jüngere oder Gesündere tatsächlich zu Tätigkeiten im Schloss (z. B. Reinigung der
Zimmer und Öfen) und im Schlossgarten bzw. zur Krankenpflege herangezogen werden
konnten8. Sogar der Herrschaftsverwalter Joseph Denscherz hatte von der Gepflogenheit,
eine Spitalerin im Schloss gegen die Kost anzustellen, deutlich Abstand genommen und
allgemein geäußert: [Sie] werden zu allen obbeschribenen arbeithen wegen ihren müheseelig-
keiten sehr wenig gebraucht9.
Im Frühjahr 1771 sah sich die Oberbehörde in Graz dennoch veranlasst, gegen die
Arbeitsordnung vom April des Vorjahres einzuschreiten. Die Hofkanzlei erachtete die
Vorgaben als robath […], die alt erlebten-pfründnern gar nicht angemessen war. Außerdem
sollten die Spitalerinnen künftig mit gekochten Speisen und nicht nur mit Naturalien
versorgt werden. Das Hofkanzleidekret besagte: Alle diese arbeiten seyen von nun an zu ver-
bieten, und nur allein es bey folgenden, als einer mässigen beschäftigung zu belassen, daß erst-
lich die spittalerinnen nach thunlichkeit und ihren kräften die kirche, den kohr auszukehren,
zweytens streuen abzuwinden und drittens denen kranken im schloß zu warten unentgeltlich
angewendet werden mögen, wo übrigens denenselben das tägliche gebett und die vorgeschriebe-
nen andachten zu verrichten allerdings obliegen werde10. Raimund Graf Saurau hatte Ende
Mai 1771 lediglich gegen die Abänderung der Kostvorschriften schriftlich protestiert, da
er diese nicht aus dem Testament des Stifters ableiten konnte oder wollte. Die sich bereits
abzeichnende Änderung der Arbeitsordnung dürfte er hingegen akzeptiert haben.
In den 1790er Jahren fand das Spital keine Aufnahme mehr in eine gedruckte statisti-
sche Übersicht der Spitäler, Armen- und Versorgungshäuser in Innerösterreich11. Den-
noch kann man mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die Anstalt die josephinische
„Auflösungswelle“ überlebte, da noch um 1850 ein Pfründnerhaus in Ligist für acht Per-
sonen – wie bereits in der ursprünglichen Stiftung des Jahres 1642 – Erwähnung fand.
Die Armen erhielten den Naturalunterhalt, der auch in Geld reluirt werden konnte12. Der
Dachboden dieses Anwesens, das durch die gräfliche Familie 1853 neu errichtet wurde,
konnte bis zum Jahr 1962 von vier alten Frauen als Wohnung genützt werden13.
6 StLA, Weltliche Stiftungsakten 54, K. 193, Nr. 6, Specification der […] spitall weibern, Herrschaft
Ligist, 1770 April 28.
7 Klug, Wirtschaft 85.
8 StLA, Weltliche Stiftungsakten 54, K. 193, Nr. 6, Specification der […] spitall weibern, Herrschaft
Ligist, 1770 April 28; Untersuchungsprotokoll das Spital zu Ligist betreffend, Marburg, 1770 Juni 18; Klug,
Wirtschaft 84.
9 StLA, Weltliche Stiftungsakten 54, K. 193, Nr. 6, Arbeitsordnung des Spitals in Ligist, 1770 April 28.
10 Ebd. Hofkanzleidekret (Kopie), 1771 Juni 22.
11 Der Negativbefund in: Uebersicht.
12 Bericht 1852 146; Klug, Wirtschaft 85.
13 Trummer, Siedlungsraum 72 (Nr. 109 Wischenbart); Klug, Wirtschaft 85.
Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Spital als Lebensform
- Untertitel
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorie
- Medizin