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nicht als Wert an sich10 –, musste auch
verpflichtend an der Morgenmesse teilneh-
men und dort für das Domstift sowie die
Wohltäter der Anstalt beten11. Die blindten
und krumppen waren von dieser geistlichen
Arbeitsleistung nicht ausgenommen, doch
konnten sie ihre Gebete im Haus verrich-
ten. Nach der Rückkehr von der täglichen
Messe hatten die Spitaler entsprechend ih-
ren verbliebenen körperlichen Möglichkei-
ten diverse (Haus-)Arbeiten zu erledigen.
Wer jedoch sein stüzigen khopf zeigen wolt
gegen dem spittlmaister, musste mit Ermah-
nungen, Essensentzug oder im Extremfall
sogar mit dem Verlust der Pfründe rech-
nen und hatte das Haus mit lähren peittl
zu verlassen12. Bei den Gesunden wurde
daher die Nächstenliebe eingemahnt, auch
für die Schwächeren und Kranken zu ar-
beiten und sie sollten Gott dem allmechtigen
danckhen, das sye was verrichten khönnen.
Die Mahlzeiten nahm man gemeinsam ein
und vor als auch nach dem Essen wurde
mit aufgehobenen hendten unter Anleitung
des Spitalmeisters13 laut gebetet. Wer sich
diesem Ritual verweigerte, galt laut Ord-
nung als unvernünftiges Tier14. Selbstverständlich erfolgte die Speisenvergabe (portion)
auch nach der Rangfolge im Haus (Spitalmeister, ehemaliger Spitalmeister, Spitalmeis-
terin) und nach der individuellen Arbeitsleistung bzw. nach dem Wohlverhalten. Am
Abend waren zusätzlich die Erforschung des Gewissens und die Danksagung für die
Wohltaten des vergangenen Tages durch Abbeten des Rosenkranzes vorgeschrieben. An
Sonn- und Feiertagen hatten die Frauen und Männer nicht nur die Frühmesse, sondern
auch das Hochamt und die Vesper zu besuchen, um inbrünstig für die Vergebung ih-
rer Sünden, umb ein glückhseeliges sterbstundleyn unnd umb die ewige seeligkheit zu bit-
ten. Die Leistung der überbordenden Gebetsdienste – die Seckauer Ordnung kannte in
der überwiegenden Mehrzahl nur göttliche Ge- und Verbote, weltliche Aspekte werden
hingegen kaum thematisiert15 – sollte dem Spital glückh und seegen bescheren, das fried-
10 Watzka, Arme, Kranke, Verrückte 111, 436; im Vergleich dazu (Edition Nr. 50, S. 650–653) die
für die innerösterreichischen Spitäler 1731 gedruckten Regulen / und Satzungen / […], StLA, Weltliche Stif-
tungsakten 83, Teil 2, K. 302, fol. 1073r–v (Edition Nr. 50, S. 650–653); Watzka, Arme, Kranke, Verrückte
112.
11 Weiss, Österreichische Hospitäler 222.
12 Ebd. 223.
13 Das Amt des Spitalmeisters war gegen Entgelt bis in das 17. Jahrhundert verpachtet; Watzka, Arme,
Kranke, Verrückte 57.
14 Weiss, Spitalgeistlicher 228.
15 Vgl. dazu allgemein Scheutz–Weiss, Spitalordnung 327–335; Watzka, Arme, Kranke, Verrückte
Abb. 30: Seckau; Klosterspital, Luciakapelle
(Dürnbergerkapelle bei Seckau Nr. 62) als Rest des
1912 abgetragenen, durch Dompropst Johannes
Dürnberger (1480–1510) 1501 errichteten Spitals;
Dürnbergerkapelle von außen (Foto: Alfred Stefan
Weiß, 2012).
Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Spital als Lebensform
- Untertitel
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorie
- Medizin