Seite - 297 - in Spital als Lebensform - Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Bild der Seite - 297 -
Text der Seite - 297 -
IX.2 Wien – Zuchthausspital (Kommentar Nr. 191) 297
IX.2 Wien – Zuchthausspital (Kommentar Nr. 191)
Das nach dem erzwungenen Abzug der Juden und nach längeren Verhandlungen der Nie-
derösterreichischen Regierung mit der Stadt Wien 1671 in der Leopoldstadt auf dem
Boden der Stadt Wien gegründete Zucht- und Arbeitshaus (Wien II, im Bereich Kar-
melitermarkt) stellt ein Vorbild für weitere multifunktionelle Institutionen dieser Art
innerhalb der Habsburgermonarchie dar. Die Gründung des Wiener Zuchthauses ent-
stammt einer zweiten Welle an Zuchthausgründungen im Heiligen Römischen Reich
ab den 1670er Jahren – Vorbilder waren die protestantischen Hafenstädte im Norden
des Heiligen Römischen Reiches gewesen1. Über dem Haupttor prangte als program-
matische Benennung von Intention sowie kaiserlicher und kommunaler Gründerperson:
„Imperante Leopoldo et Consule Daniele Lazaro Springer [1614–1687, Bgmst.
1670–1673] S[acrae] C[esareae] M[aiestatis] C[onsiliario]. Disciplinarium Hoc
S[enatus] P[opulus]q[ue] V[iennensis] Erexit. A. M. DC. LXXIII.“2 Als Zielgruppe
der Niederösterreichischen Regierung wie des Landesfürsten firmierte nicht nur das „her-
renloß und starcke Bettler Gesind / sondern auch die trutzige Dienstbotten mann- und
weiblichen Geschlechts / deßgleichen die unbändige Handwercks-Pursch / neben andern
schlimmen Gesindl / in Specie aber die leichtfertige Weibs-Persohnen / wie auch dersel-
ben Kupplerinen“3. Der Wiener Magistrat, der zur Finanzierung des Hauses verschiedene
Maßnahmen (Steuer auf Lustbarkeiten, Luxusartikel) ergriff, ließ drei nebeneinanderlie-
gende Gebäude miteinander vereinen, so dass Unterbringungsmöglichkeiten für rund
200 Personen vorhanden waren. Die abgesonderte Lage und die Lage gegen die unbesie-
delte Heide trugen mit zur Objektwahl bei. Das während der Belagerung von den Osma-
nen 1683 schwer beschädigte Gebäude wurde danach erneut als Zucht- und Arbeitshaus
adaptiert, zwischen 1710 und 1720 befand sich das erste Hetztheater Wiens in unmittel-
barer Nähe („Auf der Haide“). Im Zuge der großen Pestepidemie fand dieses Gebäude,
vermutlich aufgrund seiner Größe und der Möglichkeit einer raschen Räumung, auch als
Pestlazarett („Lazareth in der Leopoltstatt“) Verwendung und wurde am 15. September
1713 unter Leitung des Pestphysikus Heinrich Jordan und zweier Infektionschirurgen
in neuer Funktion eröffnet. Bis zum Dezember 1713 diente das Zuchthaus als Pestlaza-
rett und wurde dann – aufgrund der Miasmen und des Pestgiftes – erst wieder 1718 für
den Zuchthausbetrieb genutzt. Im Jahr 1724 wurde ausdrücklich festgelegt, daß in der
Leopoldstadt „in das künftige kein Gefangen- sondern ein Zucht- Waisen und Arbeit-
Hauß seyn solle“4. Das umgebaute Arbeitshaus diente für „verschiedene Müßiggeher
zur Straf des Müßiggangs“5, wo die Arbeitenden gegen „einen geringen Lohn täglich per
fünf Kreutzer angewendet“ bekamen. Ein neben dem Zuchthaus gelegenes Grundstück
wurde mit einer „hohen und starken” Mauer umfangen, weiters wurden einige „Manu-
factur- und Arbeit-Zimmern“ an das bestehende Haus angebaut. Die Insassen des neuen
1 Als Überblick für Österreich Stekl, Österreichs Zucht- und Arbeitshäuser; Hammer-Luza, Leben
und Sterben; Dies., Das Grazer „Kriminal“; und vor allem Strafe, Disziplin, Besserung; für das Wiener Zucht-
und Arbeitshaus mit ausführlichen Belegen Scheutz, Wiener Zucht- und Arbeitshaus 63–95; kurz gefasst bei
Czeike, Wien Lexikon 5 713.
2 Text der Inschrift bei Fischer, Brevis notitia Teil 1 (Wien 1767) 213; Teil 4 (Wien 1770) 178: Über
dem kleineren Tor stand: „LABORE ET FAME“.
3 CA II 544–546 [Wien, 1671 Juli 24].
4 CA IV 159 [Wien, 1724 Jänner 17].
5 Ebd. 159; auch zum Folgenden.
Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Spital als Lebensform
- Untertitel
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorie
- Medizin