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revolutionäre oder wenigstens das historische Recht negirende Ver-
haltnisse und Anträge vorgekommen und haben sich seitdem in
gesteigerter Zahl vermehrt und selbst die konservativsten Herren
erheben ihre Stimme nicht dagegen, wie z. B. gegen die Unter-
ordnung des böhmischen Landtags unter den Reichsrath, da doch,
was diesegislative betrifft, Böhmen von jeher mit feinem Könige völlige
Unabhängigkeit besaß, die ihm sogar Ferdinand II nicht entzogen hatte.
Ich erkenne aber wohl, daß, seitdem sich die geographisch histori-
schen Grundlagen unseres Reiches wieder consolidirt haben und die
Theorie des Freiherrn Eötvös von den historisch-politischen Indivi-
dualitüten nicht nur bei der Regierung sondern auch bei den
Völkern Anklang fand, mein Antrag aus dem I. 1«49 nunmehr
nicht nur unpraktisch sondern sogar unmöglich sei; ich bin bei all
meinem Doktrinarismus keineswegs ein so hartnäckiger Ideolog,
daß ich ein politisches Programm, und wäre es auch das heil-
samste, so zu sagen 98 Procenten der öffentlichen Meinung zu
Trotz durchführen wollte. In Folge dessen wird aber das Princip
der nationalen Gleichberechtigung in seiner praktischen Durch-
führung auf noch größere Hindernisse stoßen, als es früher der
Fall gewesen wäre; und doch hängt von ihr, wenn ich mich so
ausdrücken darf, das Sein oder Nichtsein Österreichs als eines
einigen und mächtigen Staates ab.
Wir haben also nunmehr drei politische Systeme, um die in
Österreich gekämpft wird: das centralistische, dualistische
und föderalistische; das erste verleiht die Hegemonie einzig
und allein der deutschen Nation, das zweite vertheilt sie unter
Deutsche und Magyaren, das dritte hat endlich zu seinem Wahl-
spruche gleiches Recht für alle Nationen. Indem ich endlich zu
ihrer eingehenden Würdigung und Erörterung übergehe, hoffe ich,
daß ich es keineswegs mit Hindernissen, wie im I. 1849, werde
zu thun haben. Am Hradcin herrscht und droht mir wenig-
stens kein Kriegsgericht mehr. —
P r a g, den 20. April 1865.
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Buch Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Titel
- Österreichs Staatsidee
- Autor
- Franz Palacký
- Verlag
- I. L. Kober Verlag
- Ort
- Prag
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.7 x 21.5 cm
- Seiten
- 110
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918