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Hilfe unserer Nachbarn, oder gegen dieselben erreicht haben. Könnte
man hier darüber eines längeren verhandeln, so würde ich nicht
anstehen zuzugeben, daß auch in den moralischen Charakteren und
den Leidenschaften verschiedener Völler gewisse Differenzen und ent-
schiedene Ungleichheiten sich herausstellen, und es wird hoffentlich
nichts Unangenehmes oder Beleidigendes darin liegen, wenn ich
behaupte, daß die Summe aller Nationaltugenden oder Unwgenben
auf mehren Seiten gleich sein kann, wenn auch die Coefficlenten
ungleich wären; aber ich läugne und werde es immer unbedingt
und entschieden thun, daß irgend eine Nation von Gott oder der
Natur und nicht etwa durch langjährige Traditionen und Bildung
einen höheren inneren Werth erlangt habe. Die Nationen bestehen
ja nicht etwa erst feit zwei oder drei Iahrtaufenden, seitdem man
ihre Traditionen verfolgen kann; die Deutschen aber, die sich so
gern zum Gegensah der Slaven machen, sollten nicht so bald das
Wort des ersten Forschers ihres nationalen Lebens, Jakob Grimm,
vergessen, der als Hauptrefultat aller seiner Studien das angab,
daß der gesammte deutsche Stamm in der ganzen Genealogie der
Völker keinen näheren oder wenigstens so nahen Verwandten be-
fitze, als die Slaven. Itar» oonooräj» lratrum!
Wenn wir jedoch die Sache näher bettachten, so wird man
sich des Verdachtes nicht entledigen können, daß die Deutschen mit
ihrem Geschrei von natürlichen Borzügen, die sie vor uns haben,
nur ihr Gewissen beschwichtigen wollen, da sie selbst von ihnen nicht
überzeugt find; denn sonst wäre es wirklich unbegreiflich, warum
sie zögern sollten mit uns den Wettlauf in gleicher Rüstung an-
zutreten, wenn sie ihrer Vorzüge und ihres Sieges gewiß wären.
Deßwegen aber, daß bei einem solchen Wetttampfe Gerechtigkeit
gewahrt werde, verlangen und können wir auch mit Recht ver»
langen, daß dem jahrhundertelangen Unrecht endlich ein Ende ge-
macht und die nicht natürliche, fondern nur faktische Ungleichheit
nicht immer von Neuem wieder angefacht werde. Wir können
und müssen verlangen, daß der Staat für das Geld, daß wir
ebenso wie Deutsche zahlen müssen, in unserem Lande nicht deutsche
Ämter und Schulen allein unterstütze; wir müssen verlangen, daß
so oft sich Gelegenheit zur Errichtung einer böhmischen Lehrkanzel
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Buch Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Titel
- Österreichs Staatsidee
- Autor
- Franz Palacký
- Verlag
- I. L. Kober Verlag
- Ort
- Prag
- Datum
- 1866
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.7 x 21.5 cm
- Seiten
- 110
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918