Seite - 12 - in Stalins Soldaten in Österreich - Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
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Einleitung12
in Österreich vergiftet oder absichtlich mit einer Geschlechtskrankheit infi-
ziert zu werden, ist nur eine Ausformung davon. Aber auch Rachegefühle
für die während des Krieges begangenen Gräueltaten kamen nicht nur in
Deutschland, sondern ebenso in Österreich zum Vorschein. Auf der anderen
Seite wurden die durch Stalins Propagandamaschinerie geprägten Vorstel-
lungen des „kapitalistischen“ Westens erstmals mit der Realität konfrontiert.
Schmerzlich mussten viele erfahren, dass der Lebensstandard im Land des
besiegten Feindes weit über jenem in der Heimat lag.
Dem für die Rote Armee ruhm- und siegreichen Ende des Zweiten Welt-
krieges folgte die zehnjährige Besatzung Österreichs, die Hunderttausende
sowjetische Soldaten und Offiziere, ihre Frauen und Kinder sowie ziviles Be-
satzungspersonal für mehrere Monate, manchmal sogar Jahre an Österreich
binden sollte. Durch ihre flächendeckende Präsenz – im Zuge des Kriegs-
endes kamen etwa 400.000 Rotarmisten nach Österreich,4 1955 waren noch
rund 40.000 Armeeangehörige mit 7600 Angehörigen von Offizieren in Ös-
terreich stationiert5 – gehörten sie vor allem in der ersten Nachkriegszeit zum
Alltag in der sowjetischen Besatzungszone. Verglichen mit den quantitativ
deutlich kleineren amerikanischen, französischen und britischen Besatzungs-
truppen stellten daher die sowjetischen Besatzungssoldaten in Ostösterreich
„die Fremden“ schlechthin dar.
Durch ihren Dienst, die anfängliche Unterbringung in Privatquartieren,
Liebesbeziehungen, aber auch durch Freizeitaktivitäten kamen die vorwie-
gend jungen Russen und Ukrainer, Weißrussen und Balten, Kasachen, Us-
beken und Kaukasier in unmittelbare Berührung mit der österreichischen
Bevölkerung, Kultur, Lebensweise, Sprache. Sie tauchten in eine fremde, oft
als bedrohlich empfundene, gleichzeitig aber faszinierende Welt mit den un-
terschiedlichsten Versuchungen ein.
Die Armeeführung bemühte sich – oftmals vergeblich –, die Disziplin
durch einen streng reglementierten Tagesablauf und eine „sinnvolle“ Frei-
zeitgestaltung zu stärken. So zeigte etwa die „Österreichische Zeitung“, das
Sprachrohr der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich, mit mehreren
Artikeln wie „Die Rote Armee im Frieden“ sowjetische Militärangehörige bei
4 Manfried Rauchensteiner, Nachkriegsösterreich 1945, in: Österreichische Militärische Zeitschrift.
1972/6, S. 407–421, hier: S. 420.
5 CAMO, F. 275, op. 140920s, d. 7, S. 145–156, Bericht des Oberkommandos der CGV an den Chef des
Generalstabes, Sokolovskij, und den Chef des Hauptstabes der Landstreitkräfte, Malandin, über
den Abzug der sowjetischen Truppen aus Österreich, 24.9.1955. Abgedruckt in: Stefan Karner –
Barbara Stelzl-Marx – Alexander Tschubarjan (Hg.), Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische
Besatzung 1945–1955. Dokumente. Krasnaja Armija v Avstrii. Sovetskaja okkupacija 1945–1955.
Dokumenty. Graz – Wien – München 2005, Dok. Nr. 188.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918