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I. Vorgeschichte: Sowjetische
Österreichplanung38
Auf der Moskauer Außenministerkonferenz setzte sich die sowjetische
Ablehnung der Konföderationspläne, unterstützt durch die Skepsis des ame-
rikanischen State Department, schließlich durch: Der britische Erstentwurf
einer Deklaration für Österreich wurde auf Wunsch des stellvertretenden
Volkskommissars für auswärtige Angelegenheiten, Andrej Vyšinskij, so ab-
geändert, dass nichts mehr von einer „Föderationen“-verdächtigen Formel
zu lesen war. Zudem präzisierte Vyšinskij die „Verantwortlichkeitsklausel“,
indem er „Österreich“ anstelle des „österreichischen Volkes“ setzte. Dadurch
verschob sich die Verantwortung der Bevölkerung auf die völkerrechtlich-
juristische Ebene der Verantwortlichkeit des Staates.
Karl Renner sollte in seiner Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945
wörtlich auf die ersten beiden Absätze der Moskauer Erklärung vom „ers-
ten freien Land, das der hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist“, und
auf die Tatsache eingehen, dass die Alliierten den „Anschluss“ als „null und
nichtig“ betrachteten. Diese von Renner in der ersten Stunde der Zweiten Re-
publik in die Welt gesetzte, auf die Moskauer Deklaration aufbauende „Op-
ferdoktrin“ sollte die gesamte Geschichtspolitik der Zweiten Republik bis hin
zur „Waldheim-Affäre“ 1986 dominieren.24 Aber auch in den ersten Aufrufen
des Militärrates der 3. Ukrainischen Front an die Bevölkerung Österreichs25
und an die Truppen der Roten Armee26 wurde unter Bezugnahme auf die
Moskauer Deklaration auf die Rolle Österreichs als „erstes Opfer Hitlers“
hingewiesen, wobei jedoch im Aufruf von Marschall Fedor Tolbuchin „An
die Bevölkerung Österreichs“27 vom 19. April 1945 ein expliziter Hinweis auf
Deutschlands und anderer Feindstaaten in Europa“, 9.10.1943. Abgedruckt in: Laufer – Kynin, Die
UdSSR und die deutsche Frage, Bd. 1, S. 194–214, hier: S. 211f. Vgl. dazu auch: Filitov, Sowjetische
Planungen zur Wiedererrichtung Österreichs, S. 30; Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 18f.
24 Die Moskauer Deklaration von 1943 ist in den vergangenen Jahren Gegenstand kontroverser Inter-
pretationen geworden. Vgl. dazu u. a.: Stourzh, Um Einheit und Freiheit, S. 23–27; Günter Bischof,
Die Moskauer Erklärung vom 1. November 1943: „Magna Charta“ der Zweiten Republik, in: Ste-
fan Karner – Gottfried Stangler (Hg.), „Österreich ist frei!“ Der Österreichische Staatsvertrag 1955.
Beitragsband zur Ausstellung auf Schloss Schallaburg 2005. Unter Mitarbeit von Peter Fritz und
Walter M. Iber. Horn – Wien 2005, S. 22–26, hier: S. 24f.; Günter Bischof, Allied Plans and Policies for
the Occupation of Austria, 1938–1955, in: Rolf Steininger – Günter Bischof – Michael Gehler (Hg.),
Austria in the Twentieth Century. New Brunswick – London 2002, S. 162–189, hier: S. 169; Michael
Gehler – Wolfgang Chwatal, Die Moskauer Deklaration über Österreich 1943, in: Geschichte und
Gegenwart 1987/3, S. 212–237.
25 Bekanntmachung des Militärrates der 2. Ukrainischen Front an die Bevölkerung Österreichs [nicht
nach dem 6.4.1945]. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Ös-
terreich, Dok. Nr. 15. Siehe dazu auch das Kapitel A.II.1.4 „‚Jedmöglichste Hilfe‘: Aufrufe an die
Bevölkerung“ in diesem Band.
26 Aufruf des Militärrates an die Truppen der 3. Ukrainischen Front, 4.4.1945. Abgedruckt in: Karner
– Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 9. Siehe dazu auch das Kapitel
A.II.1.3 „Befehle an die Truppen der 2. und 3. Ukrainischen Front“ in diesem Band.
27 Aufruf des Oberbefehlshabers der 3. Ukrainischen Front, Fedor Tolbuchin, „An die Bevölkerung
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918