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I. Vorgeschichte: Sowjetische
Österreichplanung50
2.1 Verhandlungen um Wien
Es waren jedoch die Verhandlungen um Wien, die den Abschluss der alliier-
ten Vereinbarungen über Österreich – im Gegensatz zu Deutschland73 – weit
über das Ende der Kriegshandlungen hinaus bis Anfang Juli 1945 verzöger-
ten. Die monatelangen Debatten galten der Frage, ob die Hauptstadt – eine
Enklave im sowjetisch zu besetzenden Niederösterreich – in den engeren
Grenzen von 1937, was dem sowjetischen Standpunkt entsprach, oder den
weiteren Grenzen des „Reichsgaues“, wie es die Westmächte wünschten, in
alliierte Sektoren aufzuteilen sei. Groß-Wien bedeutete nicht nur ein Plus an
Besatzungsgebiet für die Westmächte, sondern insbesondere die Möglichkeit,
Flugplätze innerhalb der eigenen Sektoren zu verwenden bzw. anzulegen.
Die Frage des Zutritts der Westmächte zu Wien verkomplizierte noch das
Problem: Die sowjetische Seite hatte bereits am 13. April 1945, dem Tag der
„Einnahme Wiens“ durch die Rote Armee, westliche Delegationen zu einem
Lokalaugenschein eingeladen, diese wenig später aber mit der Begründung
wieder ausgeladen, das Zonenabkommen müsse zuerst unterzeichnet wer-
den. Die Westmächte wiederum argumentierten, das Abkommen erst nach
einem Lokalaugenschein in der Hauptstadt abschließen zu können.74
Wenig vertrauensbildend war zudem das sowjetische Vorpreschen bei der
Bildung der provisorischen Regierung unter Karl Renner. In der EAC war die
prinzipielle Vereinbarung getroffen worden, zunächst die Besatzungstrup-
pen die gesamte Gewalt in Österreich übernehmen zu lassen und erst danach
mit dem Aufbau der Verwaltung Österreichs „von unten“, d. h. durch die
Errichtung lokaler Verwaltungsbehörden, zu beginnen. Nun erteilten jedoch
die Sowjets in einem Alleingang am 19. April 1945 Renner den „Auftrag“ zur
Regierungsbildung, ohne die Westmächte auch nur im Geringsten darüber
informiert zu haben. Erst als die Verhandlungen zur Bildung der provisori-
schen Regierung praktisch abgeschlossen waren, wurde dem stellvertreten-
den Volkskommissar Vyšinskij am 25. April der Entwurf einer diesbezügli-
chen Note an die Westmächte vorgelegt, die dieser handschriftlich auf den
Vortag rückdatierte und am 26. April den Geschäftsträgern der USA und
Großbritanniens in Moskau überbringen ließ. Zwar waren mit der Mittei-
73 Bereits am 12. September 1944 hatte die Europäische Beratende Kommission das „Zonenabkom-
men“ für Deutschland und am 14. November 1944 die „Vereinbarung über den Kontrollapparat
in Deutschland“ unterzeichnet. Vgl. dazu insbesondere: Gunther Mai, Der Alliierte Kontrollrat in
Deutschland 1945–1948. Alliierte Einheit – deutsche Teilung? München 1995, S. 27; Jan Foitzik, Sow-
jetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945–1949. Struktur und Funktion. Quellen
und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Bd. 44. Berlin 1999, S. 435–439.
74 Mueller, Die sowjetische Besatzung im Mühlviertel, S. 36. Siehe dazu auch das Kapitel B.I.1.1.1
„Kontakte zu Einheimischen und Westalliierten im Schatten des Kalten Krieges“ in diesem Band.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918