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I. Vorgeschichte: Sowjetische
Österreichplanung52
Regierung in einer Botschaft an Moskau aufs Schärfste gegen das sowjetische
Vorgehen. Vor der Einsetzung einer Regierung müsse ganz Österreich befreit
und eine viergliedrige alliierte Kommission in Wien installiert sein. Zum Zeit-
punkt, als dies geschrieben wurde, wusste die britische Seite nicht, dass sich
die Regierung Renner bereits konstituiert hatte.76 Die Westmächte befürch-
teten, die Sowjets hätten – wie bereits zuvor in Bulgarien, Polen, Rumänien
und Ungarn – durch ihren Alleingang bei der Regierungsbildung nun auch
in Österreich eine Marionettenregierung Stalins installiert. Als Indiz dafür
wurde etwa gesehen, dass die Kontrolle der Staatspolizei in den Händen der
Kommunisten lag. Die Autorität dieses für die Sowjets „gesamtösterreichi-
schen“ Ansprechpartners erstreckte sich somit vorerst nur auf den sowjetisch
besetzten Teil Österreichs.77
Schließlich dauerte es noch bis zum Sommer, bis sich die Alliierten auf die
Sektorenaufteilung in Wien einigten. Der Durchbruch bahnte sich an, als Sta-
lin am 18. Mai auf ein am Vortag neuerlich gestelltes dringendes Verlangen
der Amerikaner und Briten nach Entsendung einer westalliierten Mission
nach Wien zustimmend antwortete. Nach der am 13. Juni 1945 beendeten
Mission der westalliierten Militärs wurden die Verhandlungen in der Euro-
päischen Beratenden Kommission neuerlich aufgenommen. Schließlich setz-
ten die Sowjets ihren Plan durch, die Grenzen Wiens vom 31. Dezember 1937
als maßgeblich zu erklären. Sie überließen den Amerikanern die Benützung
des Flughafens Tulln und den Briten und Franzosen den gleichfalls in der
sowjetischen Zone gelegenen Flugplatz Schwechat.78
Dafür verzichteten die Sowjets auf ihren Wunsch, den ersten Wiener
Gemeindebezirk – die Machtzentrale der Republik mit den meisten Regie-
rungsämtern und dem Sitz des Bundespräsidenten – ihrem Sektor einzuver-
leiben. Von einem britischen Vorschlag ausgehend, wurde die Innere Stadt
von Wien zum internationalen Sektor erklärt, dessen Verwaltung im Turnus
(ab Jänner 1946 im Monatsrhythmus) übernommen wurde. Die Schaffung
des internationalen Sektors erwies sich im folgenden Jahrzehnt als positiv,
da sie eine unilaterale Kontrolle der Verwaltungs- und Wirtschaftszentren
a priori ausschloss. Dieser Sektor bedeutete nicht nur eine Klammer für die
Funktionsfähigkeit der alliierten Verwaltung in Wien, sondern gewährte der
österreichischen Regierung auch einen größeren Freiraum gegenüber jeder
Besatzungsmacht. Einem möglichen Auseinanderbrechen Wiens in einen
76 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 72f.
77 Karner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, S. 131f.; Ernst Hanisch, Der lange Schatten des
Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien 1994, S. 403. Siehe dazu
auch das Kapitel A.II.3.4 „Aufbau der Provisorischen Regierung“ in diesem Band.
78 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 105f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918