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II. Kriegsende in
Österreich82
chekonto“ eröffnen und darin den aktuellen Stand der getöteten Deutschen
vermerken.64
Dies war ganz im Sinne der Politoffiziere, welche die Truppen auf den je-
weiligen militärischen Angriff vorzubereiten hatten. Sie konnten dann zufrie-
den sein, wenn die Befehle – wie etwa bei der 9. Garde-Armee der 3. Ukraini-
schen Front in Ungarn – den „Eifer [hervorriefen,] die Hitlerarmee ganz und
endgültig zu vernichten“.65 In der Schlacht um Budapest gerieten Flugblätter
in Umlauf, welche die Rotarmisten zur Zerschlagung der „deutschen Bandi-
ten“ aufforderten. Im Wesentlichen waren dies dieselben Truppen, die nur
ein bis zwei Monate später nach Österreich kamen.66
Vor dem Überschreiten der österreichischen Grenze wurden die sowjeti-
schen Einheiten zu besonderer Vorsicht und Kampfesbereitschaft aufgerufen.
Schließlich, so ein Befehl von Ende Dezember 1944, befinde sich die Rote Armee
auf feindlichem Territorium. Sie habe dabei zu berücksichtigen, dass die „Loya-
lität“ der Bevölkerung in Österreich (wörtlich „Österreich-Deutschland“) „noch
seltener“ anzutreffen sein würde als in Ungarn.67 Im Vordergrund stand die
militärische Niederschlagung des Gegners. „Überprüfe, hast du alles für den
Sturm auf Wien vorbereitet?“, mahnte ein Flugblatt, das die Soldaten Anfang
April 1945 untereinander weiterreichten.68 In einem anderen Aufruf schärfte der
Militärrat der 3. Ukrainischen Front den Truppen ein: „Die Heimat erwartet von
uns den Sieg, und wir werden ihn erringen. Tod den faschistischen Banditen!“69
Lieder waren für die Moral ebenso wichtig wie Gedichte. Die Soldaten
sangen beim Marschieren, bei Feiern und Paraden, ganz leise auch in Laza-
retten. Die erhaltenen Lieder sind melancholisch, viele gehen auf die patrioti-
schen Balladen von 1812 zurück.70 Beim Vormarsch nach Österreich entstand
ein Lied über die Donau, vor deren „Tiefe und Weite“ sich die Rotarmisten
„nicht fürchteten“. Ganz im Gegenteil: „Wir verliebten uns in die Donau, er-
wiesen ihr die Ehre“, hieß es in der letzten Strophe. Und weiter: „In ihr er-
tränkten wir die Faschisten, und die Donau fließt.“71
64 Perepelicyn – Timofeeva, Das Deutschen-Bild in der sowjetischen Militärpropaganda, S. 280f; Sen-
javskaja, Deutschland und die Deutschen in den Augen sowjetischer Soldaten, S. 256.
65 CAMO, F. 350, op. 166931, d. 2, S. 104. Zit. nach: Želtov, Političeskaja rabota, S. 23.
66 Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 236. Zum sowjetischen Vormarsch in Ungarn vgl. unter
anderem: Krisztián Ungváry, Die Schlacht um Budapest 1944/45. Stalingrad an der Donau. 4. Aufl.
München 1999.
67 RGVA, F. 32910, op. 1, d. 37, S. 13, Befehl an die Truppen des NKVD zum Schutz des Hinterlandes
der 3. Ukrainischen Front, 31.12.1944.
68 N. Z. Kadyrov, Ot Minska do Veny. Boevoj put’ 4-j gvardejskoj strelkovoj apostolovsko-venskoj
krasnoznamennoj divizii. Moskau 1985, S. 163.
69 Želtov, Političeskaja rabota, S. 21.
70 Merridale, Iwans Krieg, S. 218–221.
71 Pesni Velikoj Otečestvennoj vojny. Daleko il’ nedalečko, in: Za čest’ Rodiny, 30.6.1946, S. 5.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918