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II. Kriegsende in
Österreich92
Wir sind nicht Eroberer, sondern Befreier. In allen Befehlen, in allen Aufru-
fen, in allen Divisionszeitungen hieß es, dass man sich den Einwohnern ge-
genüber loyal verhalten muss, dass man in ihnen nicht den Feind sieht. Wir
kamen, um sie vom deutsch-faschistischen Joch zu befreien, weil die Deut-
schen ja Österreich erobert, sich Österreich einverleibt hatten, deswegen war
das alles so. Und sogar als wir in Rumänien waren, in Ungarn waren, hieß
es immer nur: ‚Töte den Deutschen, sonst tötet er dich.‘ Die Deutschen, die
deutsch-faschistische Partei sahen wir als Feinde.“104
Zwar gab es entsprechende Befehle für die Truppen und Komman-
danturen,105 doch wurden diese „nicht immer so befolgt, wie es die Politik ge-
genüber der österreichischen Bevölkerung verlangte“, beschrieb der Politbe-
rater des sowjetischen Hochkommissars in Österreich, Evgenij D. Kiselev, die
Übergriffe diskret.106 Auch aus den Köpfen und Herzen hoher Polit offiziere
ließ sich der Hass nicht sofort eliminieren: „Die Worte des Großen Stalin
zum Sieg über den verhassten Feind riefen bei den Soldaten, Unteroffizieren
und Offizieren ausnehmende Freude hervor und wurden mit begeisterten
‚Hurra‘-Rufen quittiert“, betonte der Leiter der Politabteilung des 6. Garde-
Schützenkorps.107
Das sowjetische Kommando wandte sich mit einschlägigen Anordnungen
und Aufrufen aber nicht nur an die eigenen Truppen, sondern auch an die
österreichische Bevölkerung. Diese wurde vor Kriegsende aufgefordert, der
Roten Armee „jedmöglichste Hilfe“ zu erweisen.
1.4 „Jedmöglichste Hilfe“: Aufrufe an die Bevölkerung
Unmittelbar bevor die Rote Armee österreichischen Boden betrat, erhielt der
stellvertretende Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, Vladimir
G. Dekanozov, einen ausführlichen Bericht über die westalliierte und sowje-
104 OHI, Vladimir Vajnrib. Durchgeführt von Oľga Pavlenko. Moskau 25.11.2002.
105 Beispielsweise war der Militärrat der 3. Ukrainischen Front verpflichtet, bis Mitte Mai 1945 „wir-
kungsvolle Maßnahmen für ein endgültiges Abstellen von Fällen von der örtlichen Bevölkerung
zugefügten Beleidigungen zu ergreifen“. Vgl. CAMO, F. 243, op. 2945, d. 18, S. 44–45, Befehl Nr.
0021 von Tolbuchin, Želtov und Ivanov an die Truppen der 3. Ukrainischen Front über die Hilfe an
die provisorische österreichische Regierung bezüglich der Frühjahrsaussaat, 6.5.1945. Abgedruckt
in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 34.
106 AVP RF, F. 06, op. 7, d. 322, S. 19, Schreiben von Kiselev an Dekanozov über die politische Stim-
mung in Österreich, 17.8.1945.
107 CAMO, F. 821, op. 1, d. 467, S. 195–199, Politbericht des Leiters des 6. Garde-Schützenkorps, Garde-
Oberst Gruzdov, an den Leiter der Politabteilung der 57. Armee, Generalmajor Cinev, über den
politisch-moralischen Zustand des Mannschaftsstandes, dessen Lebensbedingungen und die par-
teipolitische Arbeit, 21.5.1945. Abgedruckt in: Karner – Pickl, Die Rote Armee in der Steiermark,
Dok. Nr. 66.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918