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II. Kriegsende in
Österreich98
aller Wiener“ forderten und die Bevölkerung zum aktiven Widerstand ani-
mierten.128
Der Erfolg dieses Aufrufes wurde in der sowjetischen Literatur wieder-
holt überschätzt bzw. fehlinterpretiert: Ein noch im April 1945 verfasster
Bericht an den Generalstab der Roten Armee betonte etwa, dass die Wie-
ner „in Reaktion auf den Aufruf von Marschall Tolbuchin einen Aufstand
gegen die Deutschen“ vorbereitet hätten, der „nur durch den Verrat einiger
weniger Personen verhindert“ worden wäre.129 In ähnlicher Weise strich
auch ein 1975 publizierter Artikel die wichtige Rolle der sowjetischen Pro-
paganda hervor: „Die Wiener leisteten dem Appell [Tolbuchins an die Be-
völkerung Wiens] Folge. Die Widerstandsbewegung aktivierte sich. Patrioten
konnten dem sow jetischen Kommando den Plan zur Verteidigung der Stadt
übermitteln.“130 De facto dürfte dieser konkrete Aufruf in Reaktion auf den
längst geplanten Aufstand Szokolls entstanden sein, dem die Sowjets bereits
am 3. April in Hochwolkersdorf ihre Zustimmung erteilt hatten. Der militäri-
sche Widerstand war bereits aktiv geworden.131
1.4.2 „Erklärung der Sowjetregierung über Österreich“
Die „Erklärung der Sowjetregierung über Österreich“ vom 9. April 1945 legte
laut Aleksej S. Želtov, dem Politoffizier der 3. Ukrainischen Front und spä-
teren stellvertretenden Militärkommissar in Österreich, „die politische Linie
der Sowjetunion in Bezug auf Österreich“ dar.132 Želtovs Einschätzung ist in-
sofern bemerkenswert, als er als zentrale Persönlichkeit in der sowjetischen
Österreichpolitik wohl am besten über die Ziele und Methoden dieser Politik
informiert war.133 Die Erläuterung ihres Inhalts stehe, so Želtov, im Zentrum
der politischen Arbeit unter der österreichischen Bevölkerung.134 Die Erklä-
rung wurde ursprünglich von Radio Moskau gesendet und anschließend auf
Flugblättern und in der ersten Nummer der „Österreichischen Zeitung“ pu-
bliziert.
128 Aufruf des Oberbefehlshabers der 3. Ukrainischen Front „Bürger von Wien!“ [spätestens am
6.4.1945]. Abgedruckt in: Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 411f.
129 CAMO, F. 243, op. 2900, d. 2058a, S. 83–99, Schilderung der Kämpfe der 3. Ukrainischen Front wäh-
rend des „Kampfes um Wien“, nach dem 15.4.1945. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschu-
barjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 7.
130 A. Smirnow, Wien im Frühling 1945, in: Sowjetunion heute. 7/1975, S. 20.
131 Siehe dazu ausführlich das Kapitel A.II.2 „Carl Szokoll und die Sowjets: Militärischer Widerstand in
Wien“ in diesem Band.
132 Želtov, Političeskaja rabota, S. 27.
133 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 71.
134 Želtov, Političeskaja rabota, S. 27.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918