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2. Carl Szokoll und die Sowjets: militärischer Widerstand in Wien 115
gaben sie ihre Tätigkeit geplant hatte“.210 Außerdem habe eines ihrer Haupt-
ziele darin bestanden, mit Mitgliedern aus den eigenen Reihen eine proviso-
rische österreichische Staatsregierung aufzubauen.211
Analog dazu zweifelte ein Mitglied der Stavka, General Sergej M. Štemen-
ko, in seinen Memoiren die Existenz eines schlagkräftigen österreichischen
Widerstandes generell an: Die sowjetische Seite habe sowohl das Scheitern
des Wiener Aufstandes vom 6. April als auch die Beteiligung von Allen Dul-
les, einem Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes, an der Gründung
der Widerstandsbewegung O5 äußerst kritisch gesehen. Für das Scheitern
des Aufstandes seien in seinen Augen die Leiter der O5 verantwortlich ge-
wesen, „die Ziele verfolgten, die mit den Interessen der Widerstandskämpfer
bei weitem nicht übereinstimmten“. Nach der Befreiung Wiens sei es daher
notwendig gewesen, die Gründe für das Scheitern des „antifaschistischen
Aufstandes“ und die Tätigkeit der O5 zu untersuchen.212
Eine ganze Reihe prominenter Mitglieder der O5 und der bis zuletzt unab-
hängig gebliebenen Gruppe des militärischen Widerstandes wurde ab Mitte
April von den Sowjets verhaftet und stundenlangen Verhören unterzogen,213
darunter auch Carl Szokoll. Die Vorfälle hatten Moskaus Skepsis geweckt.
2.3.2 Politische Neuorientierung
Unmittelbar nach dem Ende der Kämpfe in den inneren Bezirken Wiens
fanden sich im Palais Auersperg Vertreter der O5 ein, die durch den im No-
vember 1944 unter der Leitung von Hans Becker gegründeten „Siebeneraus-
schuss“ repräsentiert wurde. Seit Beckers Verhaftung am 28. Februar 1945
stand Raoul Bumballa an dessen Spitze. Mitglieder waren von sozialdemo-
kratischer Seite Eduard Seitz und Gustav Fraser, der sich mitunter auch als
Kommunist deklarierte,214 und von christlichsozialer Seite Viktor Müllner
und Franz Sobek. Letzterer, ein direkter Vertrauensmann Leopold Figls,
210 CA FSB RF, F. 4, op. 4, d. 1441a, S. 94–104, Bericht des Leiters der Inspektion der SČSK, Bogdanov,
an den stv. Minister für Staatssicherheit, N. N. Selivanovskij, über die Tätigkeit der Widerstandsbe-
wegung in Österreich, 14.11.1946.
211 Vorošilov, Roždenie vtoroj respubliki v Avstrii, S. 40f.
212 Štemenko, General’nyj štab v gody vojny, S. 360–366. Vgl. zu diesem Diskurs auch: Pavlenko, Öster-
reich im Kraftfeld der sowjetischen Diplomatie, S. 584; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 68.
213 Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 68f.
214 CA FSB RF, K-109717, t. 3, S. 69–71, auf Deutsch S. 72–74, Memorandum von Gustav Fraser über die
Tätigkeit der O5, o. D. [nach dem 15.4.1945]. Ernst Fischer bezeichnete Fraser als Sozialisten, aber
nicht als Kommunisten. Vgl. Fischer, Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945–1955. Wien 1973,
S. 48.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Stalins Soldaten in Österreich
- Untertitel
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Autor
- Barbara Stelzl-Marx
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 874
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918